6B_760/2008: Bemessung des Tagessatzes (Art. 34 Abs. 2 StGB); mehrfacher Betrug und mehrfache Urkundenfälschung

Mit Urteil vom 30. Juni 2009 (6B_760/2008) hat das Bun­des­gericht seinen Grund­satzentscheid vom 17. März 2008 (BGE 134 IV 60) zur Bemes­sung der Geld­strafe bei einkom­menss­chwachen Per­so­n­en bestätigt. Es hiess die Beschw­erde eines wegen mehrfachen Betrugs und mehrfach­er Urkun­den­fälschung vom Oberg­ericht ZH schuldig gesproch­enen Straftäters gut und wies die Sache zur neuen Entschei­dung zurück.

Die Vorin­stanz hat­te den Beschw­erde­führer, der über ein monatlich­es Net­toeinkom­men in Höhe von rund 533,- CHF ver­fügt, zu ein­er bed­ingten Geld­strafe von 150 Tagessätzen zu 30,- CHF verurteilt, wovon 128 Tagessätze als durch Unter­suchungs- und Sicher­heit­shaft geleis­tet gal­ten. Er beantragte daraufhin vor dem Bun­des­gericht, den Tages­satz auf 6,- CHF festzusetzen.

Das Bun­des­gericht hält fest – unter Ver­weis auf seine Grund­satzentschei­dung zum Tages­satz für Verurteilte, die nahe oder unter dem Exis­tenzmin­i­mum leben – dass es im Ermessen des Sachrichters liege, in welchem Umfang er die ver­schiede­nen Strafzumes­sungs­fak­toren berück­sichtigt. Dieser Ermessensspiel­raum komme dem Sachrichter auch bei der Fest­set­zung der Höhe des Tages­satzes zu, den er im Einzelfall durch sorgfältiges richter­lich­es Ermessen zu bemessen habe. Darunter falle namentlich auch der Entscheid, ob die Ern­sthaftigkeit der Sank­tion für den Verurteil­ten erkennbar und für ihn der Ein­griff nach den per­sön­lichen und wirtschaftlichen Ver­hält­nis­sen zumut­bar sei.

2.3.1 Die wirtschaftliche Bedräng­nis des Verurteil­ten steigt pro­gres­siv mit zunehmender Anzahl der Tagessätze an. Deshalb ist die zusät­zliche Her­ab­set­zung der Tages­satzhöhe bei ein­er hohen Anzahl von Tagessätzen zu prüfen, um eine über­mäs­sige Belas­tung finanziell schlecht gestell­ter Straftäter zu ver­mei­den. Wird Unter­suchung­shaft auf eine Geld­strafe angerech­net, so muss der Verurteilte den getil­gten Teil der Geld­strafe nicht bezahlen. Dieser abge­goltene Teil wirkt sich dem­nach nicht auf seine finanzielle Belas­tung aus. Deshalb recht­fer­tigt es sich, beim zusät­zlichen Abzug von 10 bis 30 Prozent von der tat­säch­lich noch zu ver­büssenden Strafe auszuge­hen, also namentlich nach Abzug allfäl­liger bere­its erstanden­er Unter­suchungs- und Sicher­heit­shaft, welche auf die Strafe angerech­net werden.“

2.3.2 Hinge­gen darf die Frage, ob eine Geld­strafe bed­ingt oder unbe­d­ingt aus­ge­fällt wird, nicht als Kri­teri­um zur Bemes­sung der Höhe des Tages­satzes herange­zo­gen wer­den. Gemäss Art. 34 Abs. 2 StGB ist die Höhe des Tages­satzes nach den per­sön­lichen und wirtschaftlichen Ver­hält­nis­sen des Täters im Urteil­szeit­punkt, dem Einkom­men und Ver­mö­gen, dem Leben­saufwand, den allfäl­li­gen Fam­i­lien- und Unter­stützungspflicht­en sowie dem Exis­tenzmin­i­mum zu bes­tim­men. In Art. 34 Abs. 2 StGB fehlt ein Hin­weis, wonach der Tages­satz als Anreiz für die Bewährung beim bed­ingten Strafvol­lzug erhöht wer­den dürfte. Die Voraus­set­zun­gen der bed­ingten Strafe sind in Art. 42 StGB geregelt. Danach ist der Vol­lzug ein­er Geld­strafe, von gemein­nütziger Arbeit oder ein­er Frei­heitsstrafe von min­destens sechs Monat­en oder höch­stens zwei Jahren in der Regel aufzuschieben, wenn eine unbe­d­ingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Bege­hung weit­er­er Ver­brechen oder Verge­hen abzuhal­ten. Ein bes­timmtes Min­dest­mass der Tages­satzhöhe ist nicht Voraus­set­zung des bed­ingten Strafvol­lzugs. Die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, wonach eine Erhöhung des Tages­satzes wegen der Gewährung des bed­ingten Strafvol­lzugs möglich ist, würde dazu führen, dass der­jenige Täter, der die Voraus­set­zun­gen des bed­ingten Strafvol­lzugs zunächst erfüllt, bei einem Wider­ruf nach Art. 46 StGB die höhere Strafe bezahlen muss als ein finanziell gle­ich gestell­ter Täter, welchem von vorn­here­in der bed­ingte Strafvol­lzug ver­weigert wird. Dies wider­spricht dem Grund­satz der Rechts­gle­ich­heit nach Art. 8 Abs. 1 BV und ver­let­zt Art. 34 StGB.“

3. […] Zwar ste­ht dem Sachrichter auch bei den Bemes­sungs­grund­la­gen (zum Beispiel den pauschalen Abzü­gen und der Aufrech­nung von Nat­u­ralleis­tun­gen) ein Ermessen zu. Deshalb ist es hinzunehmen, dass sich bei gle­ich­er oder ähn­lich­er finanzieller Grund­lage unter­schiedliche Beträge ergeben kön­nen. Let­ztlich geht es um eine vernün­ftige Schätzung, die sich aber in einem begren­zten Rah­men zu hal­ten hat. Allerd­ings ist die Tages­satzhöhe nicht auf den Franken genau zu berech­nen, weil son­st der Ein­druck ein­er Genauigkeit erweckt wird, die es nicht gibt. Es ist daher zuläs­sig, das Ergeb­nis zu run­den. Die von der Vorin­stanz fest­ge­set­zte Tages­satzhöhe von Fr. 30.– liegt jedoch ausser­halb ein­er solchen zuläs­si­gen Run­dungs­d­if­ferenz und ist angesichts der konkreten Umstände mit Art. 34 Abs. 2 StGB nicht mehr vereinbar.“