6B_186/2009: Verjährung von Übertretungen (amtl. Publ.)

Mit Urteil vom 16. Juli 2009 (6B_186/2009) erteilt das Bun­des­gericht der Auf­fas­sung, ein erstin­stan­zlich­es Urteil hemme den Lauf der Ver­jährungs­frist nach Art. 109 StGB nicht, eine Absage. 

Die Vorin­stanz hat­te entsch­ieden, Art. 97 Abs. 3 StGB finde auf Übertre­tun­gen keine Anwen­dung, son­dern beziehe sich in sein­er Gesamtheit auss­chliesslich auf die Ver­fol­gungsver­jährung von Ver­brechen und Verge­hen, da die Ver­jährungs­frist für Übertre­tun­gen in Art. 109 StGB abschliessend geregelt werde. Es sei nicht logisch, dass lediglich ein Absatz ein­er Geset­zes­norm, näm­lich Art. 97 Abs. 3 StGB, für Übertre­tun­gen gel­ten solle. Es sei zudem auf­grund der – im Jahr 2000 in Kraft getrete­nen – Ver­längerung der Ver­jährungs­frist auf drei Jahre gerecht­fer­tigt, Art. 97 Abs. 3 StGB nicht auf Übertre­tun­gen anzuwen­den. Für dieses Ergeb­nis sprächen auch Sinn und Zweck der Ver­jährungsregeln, denn aus ver­fahren­sökonomis­ch­er Sicht sei eine endgültige Ver­jährung bei Übertre­tun­gen, welche sich durch ein geringes Vergel­tungs­bedürf­nis ausze­ich­neten, nach drei Jahren sinnvoll.

Wie schon in seinem Urteil vom 2. Mai 2005 (6P.182/2004, E. 3.3), in dem es entsch­ieden hat, dass aArt. 70 Abs. 3 StGB*, der Art. 97 Abs. 3 StGB entspricht, auf Übertre­tun­gen anwend­bar sei, kommt das Bun­des­gericht zu dem Schluss, dass die Ver­jährung auch bei Übertre­tun­gen nicht mehr ein­treten kann, wenn vor Ablauf der Ver­jährungs­frist ein erstin­stan­zlich­es Urteil ergan­gen ist:

2.3 Die Strafver­fol­gung und die Strafe für Übertre­tun­gen ver­jähren in drei Jahren (Art. 109 StGB). Hinge­gen sind wed­er Beginn noch Ende der Ver­jährungs­frist in Art. 103 ff. StGB geregelt. Auf­grund von Art. 104 StGB gel­ten die Bes­tim­mungen des Ersten Teils des Strafge­set­zbuch­es — d.h. unter anderem auch Art. 97 Abs. 3 StGB — grund­sät­zlich auch für Übertre­tun­gen, soweit in den Art. 103 bis Art. 109 StGB nichts Abwe­ichen­des geregelt ist. Art. 104 StGB ver­weist generell und aus­nahm­s­los auf den ersten Teil des Strafge­set­zbuch­es, soweit im Übertre­tungsstrafrecht keine speziellen Regeln aufgestellt wer­den. Wed­er dem Gesetz noch der Botschaft lässt sich ent­nehmen, dass einzelne Absätze der Geset­zes­bes­tim­mungen des ersten Teils auf das Übertre­tungsstrafrecht keine Anwen­dung find­en sollen. Die Botschaft hält im Gegen­teil aus­drück­lich fest, dass die Ver­fol­gungsver­jährung auch im Straf­be­fehlsver­fahren, also bei ger­ingfügigeren Delik­ten, mit dem erstin­stan­zlichen Urteil endet (BBl 1999, a.a.O.). Gestützt auf den Willen des Geset­zge­bers soll die Ver­fol­gungsver­jährung im Rechtsmit­telver­fahren grund­sät­zlich nicht mehr ein­treten (a.a.O.).“

2.6 […] Wer­den Strafver­fü­gun­gen und Straf­be­fehle generell als erstin­stan­zliche Urteile im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB qual­i­fiziert, soweit sie in Recht­skraft erwach­sen, so ist diese Bes­tim­mung auch auf Übertre­tun­gen anzuwen­den. Aus der Botschaft ergibt sich das­selbe Resul­tat. Darin find­et sich kein Hin­weis, dass der Geset­zge­ber Ver­brechen bzw. Verge­hen und Übertre­tun­gen bei der Ver­fol­gungsver­jährung nach einem erstin­stan­zlichen Urteil anders behan­deln wollte. Die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, Art. 97 Abs. 3 StGB sei auf Übertre­tun­gen nicht anwend­bar, ist unzutr­e­f­fend und ver­let­zt Bundesrecht.“

* Art. 70 Abs. 3 aSt­GB lautete:

Ist vor Ablauf der Ver­jährungs­frist ein erstin­stan­zlich­es Urteil ergan­gen,
so tritt die Ver­jährung nicht mehr ein.