5A_521/2010: Adoption; Zustimmung der Eltern bei mündigen Kindern nicht erforderlich

Im Urteil vom 4. Novem­ber 2010 (5A_521/2010) verneint das Bun­des­gericht die Frage, ob eine mündi­ge Per­son nur adop­tiert wer­den darf, wenn deren Eltern zus­tim­men. Es war zu klären, ob sich Art. 266 Abs. 3 ZGB und Art. 268 Abs. 3 ZGB, wonach die Bes­tim­mungen über die Adop­tion Unmündi­ger auf die Adop­tion mündi­ger bzw. während des Adop­tionsver­fahrens mündig wer­den­der Per­so­n­en entsprechende Anwen­dung find­en, auch auf Art. 265a‑d ZGB bezieht, worin die Zus­tim­mung der Eltern als Adop­tionsvo­raus­set­zung fest­gelegt ist.

Nach his­torisch­er Ausle­gung (E. 3.1) und tele­ol­o­gis­ch­er Ausle­gung (E. 3.2) von Art. 266 Abs. 3 ZGB kommt das Bun­des­gericht zu dem Schluss, dass sich eine mündi­ge Per­son ohne Zus­tim­mung der Eltern adop­tieren lassen darf (E. 3.3). Auss­chlaggebend sei, dass die Per­sön­lichkeit­srechte der leib­lichen Eltern hin­ter dem Per­sön­lichkeit­srecht des Kindes zurück­treten müssten, sobald dieses mündig gewor­den sei:

3.3 […] Wird das Kind aber mündig, kommt seine Per­sön­lichkeit und ins­beson­dere sein Selb­st­bes­tim­mungsrecht voll zur Ent­fal­tung und über­wiegt sein Inter­esse an der Adop­tion durch einen Drit­ten das gegen­teilige Inter­esse sein­er Eltern am Fortbe­stand des Kindesverhältnisses […].

Dies müsse aus his­torischen (E. 4.2), sys­tem­a­tis­chen (E. 4.3) und tele­ol­o­gis­chen (E. 4.4) Grün­den auch dann gel­ten, so das Bun­des­gericht in Ausle­gung von Art. 268 Abs. 3 ZGB, wenn das Kind erst während des Adop­tionsver­fahrens das Mündigkeit­salter erre­icht (E. 4.5). Denn das Kind soll auf­grund der Dauer, die das Adop­tionsver­fahren beansprucht, keine Nachteile erlei­den. Deshalb müssten Änderun­gen der tat­säch­lichen Ver­hält­nisse während des Ver­fahrens insoweit berück­sichtigt wer­den, als sie geeignet sind, das Kindeswohl zu bee­in­flussen (unter Ver­weis auf Urteil 5A_619/2008 vom 16. Dezem­ber 2008 E. 4.2):

4.4. […] Der Ver­weis in Art. 268 Abs. 3 ZGB auf die Bes­tim­mungen über die Adop­tion Unmündi­ger dient somit nicht der Wahrung elter­lich­er Zus­tim­mungsrechte, son­dern will die Benachteili­gung des im Ver­laufe des Adop­tionsver­fahrens mündig gewor­de­nen Kindes ver­mei­den, dessen Adop­tion nach den stren­gen Voraus­set­zun­gen der Erwach­se­ne­nadop­tion oft­mals aus­geschlossen wäre (Art. 266 ZGB […]) und den Erwerb des Kan­tons- und Gemein­de­bürg­er­rechts der Adop­tivel­tern zudem nicht bewirken kön­nte (Art. 267a ZGB).

Ob auch andere Verän­derun­gen während eines Adop­tionsver­fahrens (abge­se­hen vom Erre­ichen des Mündigkeit­salters) Aus­nah­men von der Ver­weisung in Art. 268 Abs. 3 ZGB nahele­gen, musste das Bun­des­gericht im vor­liegen­den Fall, in dem ein Stief­vater seine Stieftochter adop­tieren wollte, nicht entscheiden.