1B_378/2011: Entlassung aus der Sicherheitshaft; nachträgliche Änderung der Sanktion (amtl. Publ.)

Stre­it­ge­gen­stand des bun­des­gerichtlichen Ver­fahrens 1B_378/2011 bildete die – so die For­mulierung im Entscheid – “Zuläs­sigkeit der Sicher­heit­shaft während des vor der ersten Instanz hängi­gen Ver­fahrens betr­e­f­fend nachträgliche Änderung der Sank­tion” (Urteil vom 15. August 2011; für die amtliche Samm­lung vorge­se­hen). Auch in diesen Fällen beste­ht laut Bun­des­gericht eine hin­re­ichende geset­zliche Grund­lage für die Anord­nung bzw. Weit­er­führung der Sicherheitshaft.

Der Beschw­erde­führer drang mit sein­er Rüge nicht durch. Er wollte aus der Sicher­heit­shaft ent­lassen wer­den und hat­te gel­tend gemacht, dass er seine Haft­strafe voll­ständig ver­büsst habe:

2.1 […] Um Sicher­heit­shaft im Ver­fahren betr­e­f­fend nachträgliche Änderung der Sank­tion anord­nen zu kön­nen, bedürfe es nach der Recht­sprechung des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte (Entscheid in Sachen Bor­er gegen Schweiz­erische Eidgenossen­schaft vom 10. Juni 2010) ein­er aus­drück­lichen geset­zlichen Grund­lage. In der Schweiz­erischen Straf­prozes­sor­d­nung aber fehle eine Bes­tim­mung, welche es erlaube, ihn über den been­de­ten ordentlichen Strafvol­lzug hin­aus in Haft zu belassen. Da nicht die Beurteilung ein­er neuen Straftat in Frage ste­he, kön­nten ins­beson­dere die Art. 221 und Art. 229 f. StPO nicht herange­zo­gen wer­den. Im Übri­gen sei gemäss BGE 136 IV 156 eine Umwand­lung ein­er ambu­lanten in eine sta­tionäre Mass­nahme nach voll­ständi­ger Ver­büs­sung der Strafe nur in klaren Aus­nah­me­fällen und unter strenger Berück­sich­ti­gung des Ver­hält­nis­mäs­sigkeit­sprinzips zulässig.

Das Bun­des­gericht fol­gt diesen Ein­wän­den nicht. Da das erstin­stan­zliche Urteil teil­weise aufge­hoben wor­den und die Sache wieder vor der ersten Instanz hängig war, sind hier die für das erstin­stan­zliche Ver­fahren gel­tenden Bes­tim­mungen der StPO anwendbar:

2.2.2 […] Ist – wie vor­liegend – ein Gesuch um Ent­las­sung aus der Sicher­heit­shaft zu beurteilen, sind die Art. 221 und 229 f. StPO ein­schlägig. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Beschw­erde­führers beste­ht daher eine hin­re­ichende geset­zliche Grund­lage für die Anord­nung respek­tive die Weit­er­führung der Sicher­heit­shaft. Nichts zu seinen Gun­sten ableit­en kann der Beschw­erde­führer aus dem von ihm ange­führten Entscheid des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte in Sachen Bor­er gegen Schweiz­erische Eidgenossen­schaft vom 10. Juni 2010. Dieser Entscheid bet­rifft nicht die damals noch nicht in Kraft ste­hende Schweiz­erische Straf­prozes­sor­d­nung, son­dern die bish­erige Straf­prozes­sor­d­nung des Kan­tons Basel-Stadt, welche ter­mi­nol­o­gisch nicht zwis­chen Unter­suchungs- und Sicher­heit­shaft unterschied.

Zur Zuläs­sigkeit der Sicher­heit­shaft nach Art. 221 Abs. 1 StPO heisst es im Urteil:

2.3.1 […] Wird die Sicher­heit­shaft im Ver­fahren betr­e­f­fend nachträgliche Änderung der Sank­tion ange­ord­net, so ent­fällt die Prü­fung des drin­gen­den Tatver­dachts, da eine recht­skräftige Verurteilung bere­its vor­liegt. Hinge­gen bedarf es für die Anord­nung und die Weit­er­führung von Sicher­heit­shaft ein­er hin­re­ichen­den Wahrschein­lichkeit, dass das Ver­fahren zu ein­er Mass­nahme führt, welche die Sich­er­stel­lung des Betrof­fe­nen erfordert. Zu prüfen ist fol­glich, ob die Anord­nung ein­er sta­tionären Mass­nahme oder ein­er Ver­wahrung als wahrschein­lich erscheint und ob ein beson­der­er Haft­grund besteht.