4A_275/2011: bei Gefälligkeit deliktische Haftung, keine Beweislastumkehr; Überwachung eines 4‑jährigen Kindes (amtl. Publ.)

Durch einen Sturz in die Glatt erlitt ein nicht ganz vier­jähriges Mäd­chen einen schw­eren Hirn­schaden. Das Mäd­chen klagte in der Folge gegen die Per­son, die es hätte überwachen sollen, auf Zahlung ein­er Genug­tu­ung von CHF 300’000. Die Klage wurde erstin­stan­zlich im Umfang von CHF 200’000 gut­ge­heis­sen. Das OGer ZH hiess die Beru­fung gegen dieses Urteil gut. Die Betreu­ung sei im Sinne ein­er Gefäl­ligkeit über­nom­men wor­den. Deshalb seien die Regeln der Delik­t­shaf­tung anwend­bar, so dass die Klägerin beweisen müsse, dass die Beklagte ihre Sorgfalt­spflicht bei der Beauf­sich­ti­gung schuld­haft ver­let­zt habe. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht.

Das BGer schützt das Urteil des OGer ZH. Dieses hat­te fest­gestellt, dass die Eltern gle­ichzeit­ig weg­fahren woll­ten und sich die Beschw­erdegeg­ner­in bere­it erk­lärte, auf die Tochter aufzu­passen, während ihre Mut­ter zum Einkaufen fuhr. Dies hat­te die Vorin­stanz zu Recht als Gefäl­ligkeit qual­fiziert, weil der Grund, der Zweck und das Inter­esse für die Auf­sicht auss­chliesslich bei den Eltern lagen. Das BGer hält im Fol­gen­den fest, dass die Haf­tung aus Gefäl­ligkeit eine Haf­tung aus uner­laubter Hand­lung ist, ent­ge­gen einem Teil der Lehre, der eine ver­tragliche oder ver­tragsähn­liche Haf­tung des Gefäl­li­gen befürwortet:

Die delik­tis­che Haf­tung des Gefäl­li­gen ist sys­tem­a­tisch gerecht­fer­tigt dadurch, dass das Zus­tandekom­men eines Ver­trags ger­ade verneint wird und daher auch keine Ver­tragspflicht­en entste­hen. Sie ist aber auch sachgerecht. Es trifft zwar zu, dass die leis­tende Per­son mit der Gefäl­ligkeit die Verpflich­tung übern­immt, bei der Leis­tungser­bringung den Gefäl­ligkeit­snehmer nicht zu schädi­gen […]. Es ist jedoch nicht erkennbar, inwiefern sich die Art dieser Verpflich­tung vom all­ge­meinen Ver­bot gemäss Art. 41 OR unter­schei­den soll, nie­man­dem wider­rechtlich oder unsit­tlich schuld­haft Schaden zuzufü­gen. Dem Umstand, dass der Gefäl­lige auch den Schutz bloss­er Ver­mö­gensin­ter­essen übernehmen kann, ist mit der Anerken­nung ein­er entsprechen­den Garan­ten­stel­lung hin­re­ichend Rech­nung getra­gen […]. Eine Umkehr der Beweis­last für das Ver­schulden des Gefäl­li­gen, die mit der Anerken­nung ein­er ver­tragsähn­lichen Haf­tung ver­bun­den wäre, erscheint dage­gen nicht gerecht­fer­tigt. Die vorge­bracht­en Gründe überzeu­gen nicht, um die Prax­is zu ändern. Vielmehr ist daran festzuhal­ten, dass der Gefäl­lige nach Art. 41 OR haftet.

Der Ver­schuldens­be­weis oblag also der Klägerin. Dabei ver­ringern sich bei Gefäl­ligkeit auch bei der Delik­t­shaf­tung die Anforderun­gen (OR 99 II). IdR muss der Gefäl­lige jene Sorgfalt aufwen­den, die er auch in eige­nen Angele­gen­heit­en beachtet (dili­gen­tia quam in suis). Mass­gebend war also die Sorgfalt der Eltern, für die Fol­gen­des gilt:

Die Beschw­erdegeg­ner­in ver­richtete Arbeit­en im Haushalt und beauf­sichtigte die spie­len­den Kinder in der Weise, dass sie sich hie und da darüber vergewis­serte, dass die Kinder sich weit­er­hin im Umfeld aufhiel­ten und mit unge­fährlichen Spie­len beschäftigt waren. In dieser Sit­u­a­tion wäre lebens­fremd anzunehmen, der mit der Auf­sicht beschäftige Eltern­teil schaue in regelmäs­si­gen Abstän­den von 5 oder 10 Minuten bewusst nach den spie­len­den Kindern, wie dies die Beschw­erde­führer in ihrer Beschw­erde zum Massstab erheben wollen. Vielmehr ist davon auszuge­hen, dass die Arbeit­en im Haushalt die Aufmerk­samkeit des Eltern­teils zeitweise beanspruchen, so dass diese jew­eils in unregelmäs­si­gen Abstän­den unter­brochen wer­den, um sich zu vergewis­sern, dass mit den Kindern alles noch in Ord­nung ist. Dabei wird der Eltern­teil eher häu­figer ein Auge oder ein Ohr den Kindern wid­men, wenn auf­grund ihres Ver­hal­tens mit ein­er gefährlichen Sit­u­a­tion zu rech­nen ist, während eher län­gere Zeit den Haushal­tar­beit­en gewid­met wer­den kann, wenn die Kinder in ein­er ihnen ver­traut­en Umge­bung so beschäftigt sind, dass mit abrupten Ideen konkret nicht gerech­net wer­den muss. Es kann daher ent­ge­gen der Ansicht der Beschw­erde­führer, die dem erstin­stan­zlichen Urteil entspricht, nicht angenom­men wer­den, dass ein Kind im Alter von knapp vier Jahren, das mit zwei unge­fähr 5‑jährigen Kindern im Garten spielt, in jedem Fall nach max­i­mal fünf Minuten an seinem Stan­dort zu kon­trol­lieren ist.