5A_534/2011: Ausschluss aus einer Stockwerkeigentümergemeinschaft (amtl. Publ.)

Im Urteil 5A_534/2011 vom 13. Okto­ber 2011 (für die AS vorge­se­hen) beschäftigt sich das Bun­des­gericht mit der grund­sät­zlichen Frage, ob im Lichte von Art. 649b Abs. 1 ZGB (Auss­chluss aus der Gemeinschaft/Miteigentümer) einem Mit­glied der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft, das auf Auss­chluss eines anderen Mit­gliedes klagt, die Fort­set­zung der Gemein­schaft mit dem eingeklagten Mit­glied zumut­bar ist, wenn es sich selb­st grob gemein­schaftswidrig verhält.

Die Vorin­stanz hat­te erwogen, die Auss­chlussmöglichkeit ste­he nur einem loyalen Miteigen­tümer zu. Wer sich grob pflichtwidrig ver­halte, könne sich nicht auf Art. 649b ZGB berufen. Trü­gen, wie im konkreten Fall, bei­de Parteien eine schwere Mitver­ant­wor­tung an der beste­hen­den Sit­u­a­tion, fehle es an der Unzu­mut­barkeit der Fort­führung der Gemein­schaft. Der Beschw­erde­führer hielt ent­ge­gen, bei Art. 649b ZGB gehe es vielmehr nur darum, dass der sich kor­rekt ver­hal­tende Miteigen­tümer nicht wegen des ren­i­ten­ten Miteigen­tümers auf seine Anteile verzicht­en müsse. Selb­st wenn sich bei­de Parteien unko­r­rekt ver­hiel­ten, könne die Fort­führung der Gemein­schaft bei ein­er ver­wahrlosten und funk­tion­sun­fähi­gen Gemein­schaft unzu­mut­bar sein.

Das Bun­des­gericht fol­gt der Vorin­stanz und weist die Beschw­erde ab. Zur Begrün­dung zieht es den mit Art. 649b ZGB ver­fol­gten Zweck und einen Ver­gle­ich mit ein­er entsprechen­den Bes­tim­mung im Mietrecht heran.

Die mit Art. 649b ZGB einge­führte Möglichkeit zum Auss­chluss eines ren­i­ten­ten Mit­gliedes der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft schützt nur den Miteigen­tümer, der sich an die sich aus dem Gemein­schaftsver­hält­nis ergeben­den rechtlichen und moralis­chen Regeln hält:

2.3.1 […] Die Bes­tim­mung wird den Inter­essen der sich kor­rekt ver­hal­tenden Mit­gliedern der Gemein­schaft gerecht, indem sie ihnen einen wirkungsvollen Schutz gegenüber dem sich gemein­schaftswidrig benehmenden Mit­glied bietet […]. Der Auss­chluss aus der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft, der von der Lehre etwa als eine Art pri­va­trechtliche Enteig­nung qual­i­fiziert wird […] stellt einen schw­eren Ein­griff in die Rechte des betrof­fe­nen Mit­gliedes dar. Dieser wird damit gerecht­fer­tigt, dass die Inter­essen der sich kor­rekt ver­hal­tenden Mit­glieder höher einzustufen sind, als jene der sich gemein­schaftswidrig verhaltenden […].

Die Regelung des Art. 649b ZGB nimmt einen Gedanken auf, wie er sich auch in Dauer­schuld­ver­hält­nis­sen, wie zum Beispiel der Miete, wiederfindet:

2.3.1 […] So sieht etwa Art. 266g Abs. 1 OR vor, dass die Parteien das Mietver­hält­nis aus wichti­gen Grün­den, welche die Ver­tragser­fül­lung für sie unzu­mut­bar machen, mit der geset­zlichen Frist auf einen beliebi­gen Zeit­punkt kündi­gen kön­nen. Mit Bezug auf die Unzu­mut­barkeit wird hier von einem wesentlichen Teil der Lit­er­atur die Auf­fas­sung vertreten, dass solche Gründe nicht zur Auflö­sung des Mietver­hält­niss­es führen kön­nen, die der Kündi­gende mass­ge­blich (mit-)verschuldet hat […].

Das Bun­des­gericht hält es daher mit dem Bun­desrecht vere­in­bar, dass die Fort­führung der Gemein­schaft mit einem sich ren­i­tent ver­hal­tenden Mit­glied für den­jeni­gen zumut­bar ist, der sich selb­st in grober Weise gemein­schaftswidrig ver­hält. Es wäre, wie die Vorin­stanz fest­gestellt hat, in der Tat unbil­lig, den Auss­chluss eines Mit­gliedes anzuord­nen, wenn sich auch das kla­gende Mit­glied grob gemein­schaftswidrig ver­hält und für die einge­tretene Sit­u­a­tion mitver­ant­wortlich ist. Anders entschei­den bedeutete im Ergeb­nis, die Inter­essen eines sich grob gemein­schaftswidrig ver­hal­tenden Mit­gliedes höher einzuschätzen und zu schützen, was dem Zweck der Bes­tim­mung zuwiderliefe. 

Im vor­liegen­den Fall hat die Vorin­stanz eine schwere Mitver­ant­wor­tung des Beschw­erde­führers angenom­men und zur Begrün­dung auf Verurteilun­gen wegen mehrfach­er übler Nachrede und mehrfach­er Ver­leum­dung sowie wegen Unge­hor­sams gegen eine amtliche Ver­fü­gung ver­wiesen. Angesichts auch weit­er­er Gerichtsver­fahren, die alle zum Nachteil des Beschw­erde­führers aus­ge­gan­gen sind, durfte die Vorin­stanz nach Auf­fas­sung des Bun­des­gerichts ohne Ver­let­zung ihres Ermessen­spiel­raums annehmen, der Beschw­erde­führer habe sich ent­ge­gen seinen Behaup­tun­gen selb­st grob gemein­schaftswidrig ver­hal­ten und dadurch die Klagev­er­fahren provoziert, und es könne der Beschw­erdegeg­ner­in somit nicht vorge­wor­fen wer­den, sie habe böswillig gegen die Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft geklagt.