4A_164/2011: Grundsätze der Auflösungsklage iSv OR 736 Ziff. 4

Das BGer fasst die Grund­sätze zur Klage auf Auflö­sung ein­er AG gestützt auf OR 736 Ziff. 4 zusam­men (im vor­liegen­den Fall waren die Voraus­set­zun­gen klar nicht gegeben):

3.1 Nach Art. 736 Ziff. 4 OR kön­nen Aktionäre, die zusam­men min­destens zehn Prozent des Aktienkap­i­tals vertreten, vom Gericht aus wichti­gen Grün­den die Auflö­sung der Gesellschaft ver­lan­gen. Statt der­sel­ben kann das Gericht auf eine andere sachgemässe und den Beteiligten zumut­bare Lösung erkennen.
[…] Das Bun­des­gericht über­prüft der­ar­tige Ermessensentschei­de mit Zurück­hal­tung und greift nur ein, wenn die Vorin­stanz grund­los von in Lehre und Recht­sprechung anerkan­nten Grund­sätzen abgewichen ist, wenn sie Tat­sachen berück­sichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hät­ten spie­len dür­fen, oder wenn sie umgekehrt Umstände auss­er Betra­cht gelassen hat, die hät­ten beachtet wer­den müssen. […]

3.2 […] Dass Kon­flik­te von Dauer sind oder sich wieder­holen, recht­fer­tigt grund­sät­zlich keine Auflö­sung der Gesellschaft, denn die Min­der­heit muss sich den gültig gefassten Entschei­den der Mehrheit unter­w­er­fen […]. Das Recht ein­er Aktionärs­min­der­heit, aus wichti­gen Grün­den die Auflö­sung der Aktienge­sellschaft zu ver­lan­gen, soll dem Mehrheit­sprinzip etwas von sein­er Strenge nehmen […]. Die Auflö­sung stellt aber ein eigentlich­es Notin­stru­ment, eine ulti­ma ratio dar für den Fall, dass die Anwen­dung des Mehrheit­sprinzips zu ein­er unerträglichen Sit­u­a­tion führt; dies trifft im Wesentlichen dann zu, wenn die Mehrheit sys­tem­a­tisch ent­ge­gen den Gesellschaftsin­ter­essen oder den Recht­en und legit­i­men Inter­essen der Min­der­heit­sak­tionäre han­delt. […].
Die Auflö­sung ist sodann eine sub­sidiäre Mass­nahme, die nicht ange­ord­net wer­den darf, solange sich bei ein­er Prü­fung der konkreten Umstände des Einzelfall­es zeigt, dass der Min­der­heit­sak­tionär seine legit­i­men Inter­essen mit weniger ein­schnei­den­den Mit­teln vertei­di­gen kann, wie z.B. mit­tels Anfech­tung von Gen­er­alver­samm­lungs­beschlüssen oder mit­tels Kla­gen auf Auskun­ft­serteilung […]. Die Auflö­sung muss ver­hält­nis­mäs­sig sein, was eine Abwä­gung aller auf dem Spiel ste­hen­den Inter­essen voraus­set­zt […]. Zu beacht­en ist dabei nicht nur das Inter­esse des kla­gen­den Aktionärs, son­dern auch das der übri­gen Aktionäre am Fortbe­stand der Gesellschaft […], wobei namentlich zu berück­sichti­gen ist, dass die Aktienge­sellschaft eine Kap­i­tal- und nicht eine Per­so­n­enge­sellschaft ist, so dass — jeden­falls bei grösseren Gesellschaften — grund­sät­zlich nur die finanziellen Inter­essen der Aktionäre mass­ge­blich sind […]. Am Ende des Abwä­gung­sprozess­es muss sich eine Sit­u­a­tion präsen­tieren, die der­art gravierend ist, dass der Fortbe­stand der Gesellschaft nach Treu und Glauben als nicht mehr trag­bar erscheint, die beklagte Gesellschaft mithin ihr Exis­ten­zrecht ver­wirkt hat und ver­schwinden muss […].
Zu den Umstän­den, welche typ­is­cher­weise zu ein­er Auflö­sung aus wichtigem Grund führen kön­nen, gehören in erster Lin­ie das sys­tem­a­tis­che Aus­nützen der Mehrheits­macht ent­ge­gen den Inter­essen der Gesellschaft oder den Recht­en und legit­i­men Inter­essen der Min­der­heit­sak­tionäre […], Fälle der Mis­s­wirtschaft […], die wieder­holte Ver­let­zung der Rechte von Min­der­heit­sak­tionären, die Ver­fol­gung von Zie­len, die vom Gesellschaft­szweck nicht gedeckt sind, eine Sit­u­a­tion der Block­ierung der Organe oder eine finanzielle Aushöh­lung der Gesellschaft […].