BGH: Unverwertbarkeit von polizeilich abgehörten Selbstgesprächen

Der deutsche Bun­des­gericht­shof (BGH) hat sich zu der – auch aus schweiz­erisch­er Sicht inter­es­san­ten – Frage geäussert, ob und inwieweit die Beweise auf­grund polizeilich abge­hörter Selb­st­ge­spräche ver­w­ert­bar sind (Urteil 2 StR 509/10 vom 22.12.2011; Entschei­dungs­gründe wer­den später veröffentlicht).

Grund­sät­zlich kann in einem solchen Fall ein Beweisver­w­er­tungsver­bot beste­hen, das sich unmit­tel­bar aus der Ver­fas­sung ergibt. Denn mit der heim­lichen Aufze­ich­nung und Ver­w­er­tung eines nichtöf­fentlich geführten Selb­st­ge­sprächs ist ein staatlich­er Ein­griff in den abso­lut geschützten Kern­bere­ich der Per­sön­lichkeit (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG  i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ver­bun­den. Zwar ist ein­er­seits nicht jedes Selb­st­ge­spräch ein­er Per­son ohne Weit­eres dem Kern­bere­ich der Per­sön­lichkeit zuzuord­nen. Ander­er­seits muss nach den Grundätzen des Schutzes der Men­schen­würde und der Frei­heit der Per­son ein Kern­bere­ich pri­vater Lebens­gestal­tung und Leben­säusserung verbleiben, in welchen der Staat auch zur Aufk­lärung schw­er­er Straftat­en nicht ein­greifen darf.

In der Medi­en­mit­teilung Nr. 206/2011 des BGH heisst es dazu:

Der Grund­satz, dass „die Gedanken frei“ und dem staatlichen Zugriff nicht zugänglich sind, beschränkt sich nicht allein auf innere Denkvorgänge, son­dern erfasst auch ein in – unbe­wussten oder bewussten, unwillkür­lich oder willkür­lich geführten – Selb­st­ge­sprächen for­muliertes Aussprechen von Gedanken, bei welchem sich die Per­son als „allein mit sich selb­st“ empfind­et. […] In der Flüchtigkeit und Bruch­stück­haftigkeit des in Selb­st­ge­sprächen gesproch­enen Worts ohne kom­mu­nika­tiv­en Bezug liegen nach Ansicht des Sen­ats auch rechtlich erhe­bliche Unter­schiede etwa zu Ein­tra­gun­gen in Tagebüchern.

Wichtige Kri­te­rien für die Entschei­dung, ob Äusserun­gen in Selb­st­ge­sprächen diesem inner­sten, unan­tast­baren Bere­ich der Per­sön­lichkeit zuzuord­nen sind, sind laut BGH namentlich:

  • die Eindi­men­sion­al­ität der Selb­stkom­mu­nika­tion, also die Äusserung ohne kom­mu­nika­tiv­en Bezug;
  • die Nichtöf­fentlichkeit der Äusserungssi­t­u­a­tion und das Mass des berechtigten Ver­trauens der Per­son darauf, an dem jew­eili­gen Ort vor staatlich­er Überwachung geschützt zu sein;
  • die mögliche Unbe­wuss­theit der ver­balen Äusserung;
  • die Iden­tität der Äusserung mit den inneren Gedanke; 
  • die Äusserungs­form als bruch­stück­hafter, ausle­gungs­fähiger oder ‑bedürftiger Auss­chnitt eines “Gedanken­flusses”.

Aus dem Umstand, dass eine Äusserung inner­halb des geschützten Bere­ichs der Woh­nung (vgl. Art. 13 GG) fällt, lässt sich nach der geset­zlichen Sys­tem­atik zwar ein ver­stärk­endes Indiz für die Zuord­nung zum geschützten Kern­bere­ich ableit­en. Doch auch ausser­halb der Woh­nung ist dieser Kern­bere­ich abso­lut geschützt, wenn andere der genan­nten Gesicht­spunk­te in der Wer­tung über­wiegen. So lag es in dem zu beurteilen­dem Fall, weshalb sich aus der Ver­let­zung des geschützten Kern­bere­ichs der Per­sön­lichkeit ein absolutes Ver­w­er­tungsver­bot für die bei den Selb­st­ge­sprächen aufgeze­ich­neten Äusserun­gen ergab.