5A_662/2011: Eheschutz; ehelicher Unterhaltsanspruch bei neuer Partnerschaft (amtl. Publ.)

Die Frage, ob und wie sich das Zusam­men­leben der Berechtigten mit einem neuen Part­ner auf ihren Unter­halt­sanspruch im Rah­men gerichtlich­er Mass­nah­men zum Schutz der ehe­lichen Gemein­schaft auswirkt, war Gegen­stand des bun­des­gerichtlichen Urteils vom 18. Jan­u­ar 2012 (5A_662/2011; für die amtliche Samm­lung vorgesehen).

Die rechtliche Aus­gangslage für gerichtliche Eheschutz­mass­nah­men stellt sich wie fol­gt dar: 

2.1 Wo die Ehe­gat­ten sich einig sind, den gemein­samen Haushalt aufzuheben […] wird dem Ehe­gat­ten, der zuvor den gemein­samen Haushalt ver­lassen hat, um mit einem neuen Part­ner zusam­men­zuleben, der Anspruch auf Unter­halt nicht gle­ich­sam von Geset­zes wegen aberkan­nt. Das­selbe gilt aber auch, wo die Aufhe­bung des gemein­samen Haushaltes aus anderen Grün­den berechtigt ist, ins­beson­dere vom anderen Ehe­gat­ten her­beige­führt wurde, oder im Hin­blick auf die spätere Schei­dung ver­langt wird. Ist die Aufhe­bung des gemein­samen Haushaltes insoweit begrün­det, muss das Gericht auf Begehren eines Ehe­gat­ten, die Geld­beiträge, die der eine Ehe­gat­te dem andern schuldet, fest­set­zen (Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB […]).

Wie sich das Zusam­men­leben in ein­er neuen Part­ner­schaft auf den Anspruch des Unter­halts­berechtigten auswirkt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, wobei sich mehrere Tatbestände unter­schei­den lassen:

2.3.1 Wird der unter­halts­berechtigte Ehe­gat­te von seinem neuen Part­ner finanziell unter­stützt, ver­min­dert sich seine Unter­halts­forderung gegenüber dem anderen Ehe­gat­ten im Umfang der tat­säch­lich erhal­te­nen Unter­stützungsleis­tun­gen. Lehre und Recht­sprechung lassen sich dabei vom Ver­bot des offen­baren Rechtsmiss­brauchs leit­en ([…] BGE 118 II 225). Das gle­iche Ergeb­nis kann auch in Anwen­dung von Art. 163 ZGB begrün­det wer­den, wonach sich ein Ehe­gat­te als Einkün­fte anrech­nen lassen muss, was er für eigene Leis­tun­gen in der neuen Part­ner­schaft (z.B. durch Haushalt­führung, Mith­il­fe im Beruf o.ä.) erhält. Ein Abstellen auf die aktuellen wirtschaftlichen Ver­hält­nisse und damit die momen­tan tat­säch­lich erbrachte Unter­stützung des neuen Part­ners ist insofern gerecht­fer­tigt, als der ehe­liche Unter­halt — im Gegen­satz zum nachehe­lichen Unter­halt (vgl. Art. 129 ZGB) — unter erle­ichterten Voraus­set­zun­gen an verän­derte Ver­hält­nisse angepasst […] und auch ohne weit­eres nachträglich erhöht wer­den kann […].
2.3.2 Erfol­gt keine finanzielle Unter­stützung oder sind entsprechende Leis­tun­gen des neuen Part­ners nicht nach­weis­bar, kann immer­hin eine sog. (ein­fache) Wohn- und Lebens­ge­mein­schaft (“com­mu­nauté de toit et de table”; “comu­nione di tet­to e di tavola”) vor­liegen, die Einsparun­gen in den Leben­shal­tungskosten mit sich bringt. Entschei­dend ist dabei nicht die Dauer der Part­ner­schaft, son­dern der wirtschaftliche Vorteil, der daraus gezo­gen wird. In Anlehnung an die betrei­bungsrechtlichen Richtlin­ien tra­gen die Part­ner die gemein­schaftlichen Kosten (Grund­be­trag, Miete usw.) anteilsmäs­sig, selb­st wenn die tat­säch­liche Beteili­gung geringer sein sollte. Diese Kosten­erspar­nis ist im Bedarf des unter­halts­berechtigten wie im Übri­gen auch des unter­halt­spflichti­gen Ehe­gat­ten zu berück­sichti­gen […].
2.3.3 Schliesslich ist auch im Rah­men des Eheschutzes nicht aus­geschlossen, dass der unter­halts­berechtigte Ehe­gat­te in einem sog. qual­i­fizierten oder gefes­tigten Konku­bi­nat lebt. Darunter ver­ste­ht die Recht­sprechung eine auf län­gere Zeit, wenn nicht auf Dauer angelegte umfassende Lebens­ge­mein­schaft zweier Per­so­n­en unter­schiedlichen Geschlechts mit grund­sät­zlich Auss­chliesslichkeitscharak­ter, die sowohl eine geistig-seel­is­che, als auch eine wirtschaftliche Kom­po­nente aufweist. Verkürzt wird diese etwa auch als Wohn‑, Tisch- und Bettge­mein­schaft (“com­mu­nauté de toit, de table et de lit”; “comu­nione di tet­to, di tavola e di let­to”) beze­ich­net. Das Gericht hat dies­bezüglich eine Würdi­gung sämtlich­er mass­geben­der Fak­toren vorzunehmen, wobei für die Beurteilung der Qual­ität ein­er Lebens­ge­mein­schaft die gesamten Umstände des Zusam­men­lebens von Bedeu­tung sind. Der Unter­halt­sanspruch fällt weg, wenn der Ehe­gat­te in ein­er fes­ten Beziehung lebt, die ihm ähn­liche Vorteile bietet wie eine Ehe. Entschei­dend ist dabei nicht (mehr) das Kri­teri­um des Rechtsmiss­brauchs, son­dern vielmehr, ob der Unter­halts­berechtigte mit seinem neuen Part­ner eine so enge Lebens­ge­mein­schaft bildet, dass dieser bere­it ist, ihm Bei­s­tand und Unter­stützung zu leis­ten, wie es Art. 159 Abs. 3 ZGB von Ehe­gat­ten fordert. Ob die Part­ner über die dazu notwendi­gen finanziellen Mit­tel über­haupt ver­fü­gen, ist unerheblich […].

Im vor­liegen­den Ver­fahren war vor allem umstrit­ten, ob das Zusam­men­leben der Beschw­erdegeg­ner­in mit ihrem neuen Part­ner lediglich als sog. (ein­fache) Wohn- und Lebens­ge­mein­schaft zu gel­ten hat oder als sog. qual­i­fiziertes Konku­bi­nat anerkan­nt wer­den muss. Obwohl die neue Part­ner­schaft bish­er nur anderthalb Jahre andauert, ist daraus bere­its ein Kind hervorgegangen.

Allein aus diesen Umstän­den kann hier jedoch nicht von ein­er Wohn‑, Tisch- und Bettge­mein­schaft aus­ge­gan­gen werden:

3.4.2 Die tat­säch­lichen Voraus­set­zun­gen, die rechtlich auf ein qual­i­fiziertes Konku­bi­nat zu schliessen ges­tat­ten, hat der Unter­haltss­chuld­ner im ordentlichen Ver­fahren voll zu beweisen (Art. 8 ZGB […]) und im Eheschutzver­fahren glaub­haft zu machen […]. Bei einem Konku­bi­nat, das im Zeit­punkt der Ein­leitung des Ver­fahrens bere­its fünf Jahre gedauert hat, ist im Sinne ein­er Tat­sachen­ver­mu­tung grund­sät­zlich davon auszuge­hen, es han­dle sich um eine Schick­sals­ge­mein­schaft ähn­lich ein­er Ehe […]. Auf diese Tat­sachen­ver­mu­tung kann sich der Beschw­erde­führer […] nicht berufen, da die Beschw­erdegeg­ner­in erst seit Jan­u­ar 2010 mit ihrem neuen Part­ner zusam­men­lebt. Die Geburt des gemein­samen Kindes der Konku­bi­natspart­ner ändert an der den Beschw­erde­führer tre­f­fend­en Last der Glaub­haft­machung nichts […].

Es bleibt allerd­ings zu berück­sichti­gen, dass die Ver­ant­wor­tung für ein gemein­sames Kind die Eltern auch untere­inan­der enger zu verbinden ver­mag und eine solche engere Bindung vor allem bei ein­er Wun­schel­tern­schaft gegeben sein dürfte:

3.4.3 Es bleibe aber zu beacht­en, dass die Ver­ant­wor­tung für ein gemein­sames Kind nicht auch notwendi­ger­weise zu ein­er grösseren Sol­i­dar­ität und gegen­seit­i­gen Unter­stützung unter den Eltern führen müsse […]. In diesem Sinne bilden die Geburt des gemein­samen Kindes und die Tat­sache, dass die Beschw­erdegeg­ner­in zusam­men mit ihrem Part­ner in einem Ein­fam­i­lien­haus wohnt, blosse Indizien, aber noch keinen Beweis für eine entsprechend inten­sive eheähn­liche Verbindung mit ihm […]

Die vorin­stan­zliche Vernei­n­ung eines qual­i­fizierten Konku­bi­nats ist somit nicht zu bean­standen. Der Beschw­erdegeg­ner­in sind jedoch die Einsparun­gen, die sich aus der (ein­fachen) Wohn- und Lebens­ge­mein­schaft mit ihrem neuen Part­ner ergeben, im Bedarf anzurech­nen, was allerd­ings nicht strit­tig war. Das Bun­des­gericht weist die Beschw­erde ins­ge­samt ab.