4A_391/2011: Bedeutung des “Aufgabe-Lösungs-Ansatzes” im Patentrecht (amtl. Publ.)

PatG 1 II hat fol­gen­den Wortlaut:

2 Was sich in nahe liegen­der Weise aus dem Stand der Tech­nik (Art. 7 Abs. 2) ergibt, ist keine paten­tier­bare Erfindung.

Strit­tig war im vor­liegen­den Ver­fahren, ob diese neg­a­tive Schutzvo­raus­set­zung für einen bes­timmten Paten­tanspruch im Zusam­men­hang mit Induk­tions-Kochher­den erfüllt war.

Das BGer geht zunächst mit Bezug auf den Bere­ich des Erfind­erischen von Fol­gen­dem aus:

  • Anforderung an das Erfind­erische: qual­i­ta­tive Weit­er­en­twick­lung des Stands der Tech­nik. Der Erfind­er über­pringt mit sein­er intu­itiv-assozia­tiv­en Tätigkeit den Bere­ich, den ein Fach­mann in Ken­nt­nis des Standes der Tech­nik gestützt auf durch­schnit­tliche Fähigkeit­en fol­gerichtig entwick­eln kann. Es geht um eine qual­i­ta­tive Weit­er­en­twick­lung. 
  • Gren­ze der Anforderun­gen: kün­stliche ex-post-Betra­ch­tung. Die Kom­bi­na­tion von Einzelele­menten aus dem Stand der Tech­nik darf nicht zu ein­er kün­stlichen ex-post-Betra­ch­tung in Ken­nt­nis der neuen Lösung führen. 
  • Stand der Tech­nik: Gesamt­be­tra­ch­tung. Der Stand der Tech­nik ist in sein­er Gesamtheit zu betra­cht­en (als “Mosaik”), wobei sich diese aus allen der Öffentlichkeit zugänglichen Lehren und allen Ent­ge­gen­hal­tun­gen zusammensetzt. 

Damit ist das Vorge­hen noch nicht entsch­ieden, mit dem beurteilt wird, wann eine Erfind­ung vor­liegt. Das BGer erläutert zunächst den sog. Auf­gabe-Lösungs-Ansatz:

Nach der Recht­sprechung des Europäis­chen Paten­tamtes wird gemäss dem soge­nan­nten “Auf­gabe-Lösungs-Ansatz” zunächst der “näch­stliegende Stand der Tech­nik” ermit­telt, um das tech­nis­che Prob­lem festzustellen, das durch die Erfind­ung gelöst wird, wobei von den Angaben in der Anmel­dung aus­ge­gan­gen wird, sofern der Anmel­dung nicht ein unzutr­e­f­fend­er Stand der Tech­nik zugrunde gelegt wird. Dieses Vorge­hen bildet jedoch nur den Aus­gangspunkt zur Beurteilung, ob dem Fach­mann die Erfind­ung aus der Gesamtschau des Standes der Tech­nik nahegele­gen hat […]. 

 Strit­tig war im vor­liegen­den Fall, ob der Gerichtsgutachter von ein­er falschen Veröf­fentlichung als dem­näch­stliegen­den Stand der Tech­nik aus­ge­gan­gen ist. Das BGer hält dazu fest, die Beschw­erde­führerin verkenne die Bedeu­tung des “Auf­gabe-Lösungs-Ansatzes”:

Es han­delt sich dabei ent­ge­gen nicht um die auss­chliesslich vorgeschriebene Meth­ode, son­dern um eine der möglichen Arten des Vorge­hens, um auf nachvol­lziehbare Weise die Schritte zu ermit­teln, welche die Fach­per­son auf­grund des mass­geben­den Standes der Tech­nik machen musste, um zur tech­nis­chen Lösung zu gelan­gen, welche im Patent beansprucht wird. In jedem Fall ist der (qual­i­ta­tive) Abstand der beansprucht­en Lösung vom ent­ge­genge­hal­te­nen Stand der Tech­nik ins­ge­samt mass­gebend zur Beurteilung, ob diese der Fach­per­son nahegele­gen hat­te oder nicht. Da auch aus­ge­hend vom näch­stliegen­den Stand der Tech­nik die übri­gen Ent­ge­gen­hal­tun­gen darauf zu prüfen sind, ob sie für die mass­gebende Fach­per­son Anre­gun­gen zu ver­mit­teln ver­mö­gen, die ihr die beanspruchte Lösung nahele­gen, sollte bei kor­rek­tem Vorge­hen nicht wesentlich sein, welch­es von regelmäs­sig mehreren nahe­liegen­den Ele­menten im Stande der Tech­nik zum Aus­gangspunkt der allein entschei­den­den Frage genom­men wird, ob die Fach­per­son schon mit geringer geistiger Anstren­gung auf die Lösung des Stre­it­patents kom­men kann oder ob es dazu eines schöpferischen Aufwan­des bedarf.