4A_364/2011: Haftung für Schockschäden als Reflexschaden; Bestätigung der Hunter-Rechtsprechung (amtl. Publ.)

Vor BGer war strit­tig, ob die Eltern eines tödlich verun­fall­ten Sohnes einen Ersatzanspruch auf das SVG stützen kön­nen, wenn sie durch die Todesnachricht einen Schock erlit­ten haben. Der beklagte Haftpflichtver­sicher­er hat­te den Stand­punkt ein­genom­men, das SVG beschränke den Kreis der Schaden­er­satzberechtigten auf direkt unfall­beteiligte Per­so­n­en, denn nur diese kämen über­haupt in die Reich­weite der Betrieb­s­ge­fahr. Die Vorin­stanz des BGer, das KGer ZG, stellte im Sinne eines Vorentschei­ds fest, dass der Ver­sicher­er gemäss SVG 58 I für einen Schockschaden hafte. Das OGer ZG bestätigte diesen Entscheid.


Das BGer weist die dage­gen gerichtete Beschw­erde ab. Strit­tig war nur, ob der Ver­sicher­er im Grund­satz haftpflichtig war oder ob ein bloss­er Reflexschaden behauptet war. Der Schaden als solch­er und die Kausal­itäts­frage waren kein The­ma. Wie das BGer fes­thält, bet­rifft die Frage, ob ein “rein­er Reflexschaden” vor­liegt, das The­ma der Wider­rechtlichkeit. In fol­gen­den Fällen beste­ht eine Haf­tung auch bei Schädi­gung aus Drit­t­be­trof­fen­heit (Reflexschä­den):

  • geset­zlich­er Anspruch auf Ver­sorg­er­schaden (OR 45 III
  • geset­zlich­er Anspruch auf Genug­tu­ung bei Tod oder Kör­per­ver­let­zung eines Ange­höri­gen (OR 47)
  • Ver­let­zung eines abso­lut geschützten Rechtsguts ( vgl. den sog. Hunter-Fall, BGE 112 II 118 ff.)
  • Ver­let­zung ein­er Schutznorm (d.h. ein­er Ver­hal­tensnorm, die den Drit­ten vor Beein­träch­ti­gun­gen der einge­trete­nen Art schützen soll)

Der vor­liegende Fall entspricht dem Hunter-Urteil und war auch gle­ich zu beurteilen. Dass das BGer in BGE 106 II 75 eine Haf­tung aus SVG für die Fol­gen eines Stro­maus­falls infolge der Beschädi­gung ein­er Strom­leitung durch einen Trak­tor verneint hat­te, ändert daran nichts, denn dort fehlte die Wider­rechtlichkeit, während hier ein abso­lut geschütztes Rechtsgut ver­let­zt wurde.

SVG 58 I schränkt die Haf­tung fern­er nicht auf Direk­t­be­trof­fene ein; auch dies­bezüglich beste­ht kein Unter­schied zum Hunter-Fall, bei dem die Haf­tung auf LFG 64 beruhte. Das bedeutet nicht, dass bei Reflexschä­den nicht die Gefahr ein­er Haf­tungsausufer­ung beste­he. Dieser Gefahr ergibt sich aber ein­er­seits allen­falls aus ein­er zu grosszügi­gen Anwen­dung bes­timmter Ver­hal­tensnor­men als Schutznor­men, im vor­liegen­den Fall irrel­e­vant; oder dann bei ein­er Überdehnung der Adäquanz des Kausalver­laufs, was im vor­liegen­den Fall durch die Vorin­stanzen noch zu beurteilen ist. Das BGer deutet dabei an, welche Kri­te­rien zu berück­sichti­gen sind:

  • Nähe der Beziehung zwis­chen dem direk­ten Unfal­lopfer und dem Schockgeschädigten 
  • Schwere der Betrof­fen­heit des direk­ten Unfal­lopfers (Tötung/Verletzug/Gefährdung) 
  • Nähe des schock­aus­lösenden Miter­lebens (unmit­tel­bares Miterleben/blosse Benachrichtigung)