2C_638/2010: Kriterien für Steuerumgehung bestätigt, auch für MWST (amtl. Publ.)

Dem Entscheid liegt im Wesentlichen die Ver­char­terung eines Lear­jets an einen Schweiz­er zugrunde. Das Flugzeug wurde von ein­er in der Schweiz MWST-pflichti­gen Cay­man Island-Gesellschaft (“X Inc.”) gehal­ten, die es ein­er natür­lichen Per­son mit Wohn­sitz in Genf zur Ver­fü­gung stellte. X Inc. hat­te einen Air­craft-Man­age­ment-Ver­trag mit der schweiz­erischen O. Ltd., unter dem O. Ltd. sämtliche Leis­tun­gen erbrachte, die mit dem Betrieb eines Flugzeugs anfall­en. Auf den dafür gestell­ten Rech­nun­gen machte X Inc. den Vors­teuer­abzug geltend.

Der Vors­teuer­abzug wurde von den Vorin­stanzen ver­weigert, woge­gen X. Inc. Beschw­erde beim BGer erhob.

Das BGer entsch­ied zunächst, dass der Vors­teuer­abzug grund­sät­zlich zu gewähren sei (E. 3.4).

Sodann kam das BGer aber zum Schluss, dass die Vorin­stanz zu Recht eine Steuerumge­hung angenom­men habe und dass der Vors­teuer­abzug aus diesem Grund zu ver­weigern sei. Es man­gle an ein­er geschäftlichen Nutzung des Flugzeugs.

Zur Steuerumge­hung hielt das BGer u.a. Fol­gen­des fest:

(E. 4.1) Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung [Zitate] wird eine Steuerumge­hung angenom­men, wenn (1.) eine von den Beteiligten gewählte Rechts­gestal­tung als ungewöhn­lich (inso­lite), sach­widrig oder abson­der­lich, jeden­falls den wirtschaftlichen Gegeben­heit­en völ­lig unangemessen erscheint, (2.) anzunehmen ist, dass die gewählte Rechts­gestal­tung miss­bräuch­lich lediglich deshalb getrof­fen wurde, um Steuern einzus­paren, die bei sachgemäss­er Ord­nung der Ver­hält­nisse geschuldet wären, und (3.) das gewählte Vorge­hen tat­säch­lich zu ein­er erhe­blichen Steuer­erspar­nis führen würde, sofern es von den Steuer­be­hör­den hin­genom­men würde.
Ent­ge­gen der in der neuen Lit­er­atur geäusserten Ansicht [Zitate LOCHER und MATTEOTTI] ist an diesen Kri­te­rien festzuhal­ten. Zwar ist mit der neueren Lehre festzustellen, dass Steuerumge­hung — im Sinne ein­er rechtsmiss­bräuch­lichen Anrufung des als mass­ge­blich gel­tenden Sinnes ein­er Norm [Zitate] — nur in ganz ausseror­dentlichen Sit­u­a­tio­nen in Frage kommt, d.h. wenn trotz Her­anziehung des Norm­sinnes als Ausle­gungss­chranke eine Besteuerung oder eine Steuer­be­freiung nicht möglich ist, das Gesetz also angewen­det wer­den kann, das Ergeb­nis aber auf­grund der konkreten Aus­gestal­tung des Sachver­halts in hohem Masse als stossend erscheint bzw. ein­er Willkür gle­ichkäme [Zitate] . Wird das Vor­liegen ein­er Steuerumge­hung mit dieser Gewich­tung geprüft, so stellen die genan­nten Kri­te­rien einen tauglichen Prüfraster für die Abgren­zung von der steuer­lich zu akzep­tieren­den Steuerver­mei­dung dar. […]
Das sog. sub­jek­tive Ele­ment spielt insofern eine entschei­dende Rolle, als die Annahme ein­er Steuerumge­hung aus­geschlossen bleibt, wenn andere als blosse Steuer­erspar­nisgründe bei der Rechts­gestal­tung eine rel­e­vante Rolle spie­len. […]
Was schliesslich das sog. effek­tive Ele­ment anbe­langt, ist zu beacht­en, dass der Steuerpflichtige grund­sät­zlich frei ist, wie er seine Rechtsver­hält­nisse gestal­ten will, und dass bei rechtsmiss­bräuch­lich­er Gestal­tung dann einge­grif­f­en wer­den soll, wenn diese andern­falls tat­säch­lich Wirkung ent­fal­ten würde. […]
Wird eine Steuerumge­hung bejaht, ist gemäss bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung der Besteuerung die Rechts­gestal­tung zugrunde zu leg­en, die sachgemäss gewe­sen wäre, um den erstrebten wirtschaftlichen Zweck zu erre­ichen. Ent­ge­gen in der Lit­er­atur geäusserten Mei­n­un­gen [Zitat] erscheint eine solche Sachver­halts­fik­tion als unprob­lema­tisch, wird doch lediglich die for­male pri­va­trechtliche Aus­gestal­tung des Sachver­halts negiert bzw. fin­giert, unverän­dert bleibt jedoch der Sachver­halt mit Bezug auf seine — für die Beurteilung mass­geben­den — wirtschaftlichen Auswirkun­gen [Zitate].

(E. 4.2) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung von Pierre-Marie Glauser [Zitat] beste­ht kein hin­re­ichen­der Grund, diese Regeln nicht auch bei der Mehrw­ert­s­teuer anzuwenden. […]