4A_410/2011: Verantwortlichkeitsklage des SAir-Liquidators gegen ehemalige Spitze der SAirGroup wg. Roscor-Transaktion abgewiesen

Der Liq­uida­tor der SAir­Group, Karl Wüthrich, hat­te gegen den ehe­ma­li­gen CEO und CFO und zehn ehe­ma­lige VR-Mit­glieder der SAir­Group auf Schaden­er­satz von rund CHF 280 Mio.  aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wortlichkeit geklagt. Vorge­wor­fen wur­den den Beklagten die Ver­schiebung der Roscor Inc. im Dezem­ber 2000 ohne Gegen­leis­tung von der SAir­Group auf die SAir­Lines, worauf die Roscor Inc. in die SAir­Lines fusion­iert wurde. Die SAir­Lines sei bere­its damalas über­schuldet gewe­sen. Vor der Transak­tion habe die Roscor für die SAir­Group einen Wert von rund CHF 333 Mio. dargestellt. Durch die Über­tra­gung der Roscor sei diese aus der Bilanz der SAir­Group ver­schwun­den, ohne dass im Gegen­zug der Beteili­gungswert am anderen Aktivum SAir­Lines einen entsprechen­den Wertzuwachs erfahren hätte. 

BezGer ZH und OGer ZH haben die Klage abgewiesen. Das OGer ZH sah erstens keine Über­schul­dung im rel­e­van­ten Zeit­punkt. Als Even­tu­al­be­grün­dung hat­te es ange­führt, eine allfäl­lige Über­schul­dung der SAir­Lines sei durch die Transak­tion behoben wor­den, so dass für die SAir­Group ein unmit­tel­bar­er Vorteil im Umfang des die Über­schul­dung über­steigen­den Betrages ent­standen sei. Der Entscheid zur Transak­tion sei zumin­d­est vertret­bar gewe­sen und habe daher keine Pflichtver­let­zung bedeutet. Subeventuell verneinte das OGer eine Pflichtver­let­zung selb­st für den “schlecht­esten” Fall, dass eine Über­schul­dung der SAir­Lines durch die Transak­tion nicht behoben, son­dern nur ver­ringert wor­den sei, weil die Transak­tion wenig­stens die für den Konz­ern wichtige Weit­erex­is­tenz der SAir­Lines jeden­falls am Stich­tag gesichert habe. Betr­e­f­fend die nicht aktiv han­del­nden Ver­wal­tungsratsmit­glieder hat­te das OGer sodann erwogen, die Pflichtwidrigkeit könne nicht im Abschluss des Geschäfts liegen, weil diese keine Ken­nt­nis von der Transak­tion gehabt hät­ten. Ob dabei die Auf­sichts- und Kon­troll­funk­tion ver­let­zt wurde, liess das OGer offen, weil die von den Konz­ern­leitungsmit­gliedern vorgenommene Transak­tion ihrer­seits keine pflichtwidrige Hand­lung darstelle. Und schliesslich fehlte es an der Kausal­ität zwis­chen Pflichtver­let­zung und Schaden, weil selb­st ein pflicht­gemäss­es Ver­hal­ten (recht­mäs­siges Alter­na­tivver­hal­ten) zum sel­ben Ergeb­nis geführt hätte.

Das BGer geht zunächst in ver­fahren­srechtlich­er Hin­sicht auf die Frage ein, ob der Gehör­sanspruch der Beschw­erde­führerin (die Nach­lass­masse der SAir­Group) im Ver­fahren vor BezGer ZH ver­let­zt wor­den war. Das BezGer hat­te nach Ein­gang der Dup­liken ver­fügt, das Hauptver­fahren sei geschlossen; der Beschw­erde­führerin werde gegebe­nen­falls später Frist zur Stel­lung­nahme zu Noven in den Dup­likschriften ange­set­zt. Darauf hat­te die Beschw­erde­führerin auf eine Stel­lung­nahme zu den Dup­liken verzichtet.

Das BGer geht von der grund­sät­zlichen Pflicht aus, sich zu Dup­likschriften unverzüglich zu äussern oder eine Äusserungsmöglichkeit zu beantra­gen, wenn dies für erforder­lich gehal­ten wird. Hier war deshalb nur fraglich, ob die anwaltlich vertretene Beschw­erde­führerin davon ent­bun­den war, weil das BezGer ver­fügt hat­te, es werde gegebe­nen­falls später Frist zur Stel­lung­nahme zu Noven ange­set­zt. Das OGer ZH fol­gte diesem Argu­ment. Das BGer ist strenger:

 Ent­ge­gen der Vorin­stanz liesse sich die Auf­fas­sung der Beschw­erdegeg­n­er eben­so gut vertreten, dass die Beschw­erde­führerin trotz der in Aus­sicht gestell­ten Fris­tanset­zung von sich aus hätte Stel­lung nehmen müssen, wenn sie eine solche nicht bloss “gegebe­nen­falls” son­dern in jedem Fall für erforder­lich hielt (in diesem Sinne Urteil 4D_46/2011 vom 13. Sep­tem­ber 2011 E. 4). Dazu wäre sie nach der pub­lizierten Recht­sprechung zu Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Erwä­gung 4.1) berechtigt und gehal­ten gewe­sen. Dass ihr eine Stel­lung­nahme vom Bezirks­gericht ver­wehrt wor­den wäre, ist nicht dargetan. 

Das BGer lässt die Frage aber offen, weil die Gehörsver­let­zung ohne­hin geheilt wor­den wäre. Weit­er weist das BGer den Ein­wand des über­spitzten For­mal­is­mus und die Sachver­halt­srü­gen der Beschw­erde­führerin zurück. Auch der Vor­wurf der über­höht­en Anforderun­gen an die Sub­stan­ti­ierung wurde zurück­gewiesen, so dass auch der Vor­wurf, das Recht auf den Gegen­be­weis sei ver­let­zt wor­den, nicht verfing.

Weit­ere Rügen bezo­gen sich auf die Sachver­halts­fest­stel­lung und hier u.a. auf die Bew­er­tung der beteiligten Gesellschaften. So war das OGer ZH davon aus­ge­gan­gen, dass ein Erlös aus dem Marken­na­men “Swis­sair” von CHF 660 Mio. (stille Reser­ven auf dem Marken­na­men) bei der SAir­Lines (und nicht der SAir­Group) zu berück­sichti­gen gewe­sen wäre und dass die SAir­Lines selb­st nach dem Ground­ing am noch einen Mark­twert von rund CHF 1 Mia. gehabt hätte. Die entsprechen­den sub­stanzi­ierten Behaup­tun­gen der Beklagten hat­te die Beschw­erde­führerin nicht sub­stanzi­iert bestrit­ten, ohne dass sie vor BGer zeigen kon­nte, welche ihrer Vor­brin­gen aus­re­ichend gewe­sen wären bzw.  inwiefern das OGer über­höhte Anforderun­gen an die Sub­stanzi­ierung der Bestre­itung gestellt habe.

Auch die Fest­stel­lung fehlen­der Über­schul­dung der SAir­Group und der SAir­Lines (gestützt auf aktenkundi­ge und geprüfte Jahres­rech­nun­gen 2000) wurde gestützt auf ZGB 8 und das Willkürver­bot ange­focht­en; auch dies erfol­g­los. Das­selbe gilt für die Fest­stel­lung, ein Konkurs der SAir­Lines wohl auch den Konkurs der SAir­Group nach sich gezo­gen, so dass bei­de “in schick­sal­hafter Gemein­schaft ver­bun­den” gewe­sen seien. Auch dass das von der Beschw­erde­führerin ange­führte Sanierungskonzept erfol­gre­ich­er gewe­sen wäre (recht­mäs­siges Alter­na­tivver­hal­ten) stand nicht fest.

In der Sache kon­nte das BGer die behaupteten Ver­let­zun­gen von OR 716a I 3, OR 662 ff. und OR 717 I auf­grund der Sachver­halts­fest­stel­lung bzw. man­gels Entschei­drel­e­vanz ohne grösseren Aufwand zurückweisen.