4A_297/2011: Zustellungsfiktion: Anwälte müssen ausgehändigte Sendungen auf Vollständigkeit prüfen

Das BGer hält im vor­liegen­den Urteil fest, dass die Zustel­lungs­fik­tion bei eingeschriebe­nen Sendun­gen (d.h. Fik­tion der Zustel­lung am let­zten Tag der Abhol­frist) auch dann gilt, wenn der Post­beamte beim Abholen der avisierten Sendun­gen verse­hentlich nicht alle Sendun­gen aushändigt, denn der Anwalt oder seine Hil­f­sper­son ist verpflichtet zu kon­trol­lieren, ob die aus­ge­händi­gen Sendun­gen den avisierten Sendun­gen entsprechen:

Wie der Beschw­erde­führer sel­ber zugeste­ht, gehört es zu den anwaltlichen
Pflicht­en, eingeschriebene Sendun­gen während der Abholfrist
ent­ge­gen­zunehmen. Dieser Pflicht ist der Volon­tär nicht ordnungsgemäss
nachgekom­men. Er gab zwar die Abhol­ung­sein­ladung am Schal­ter ab,
kon­trol­lierte jedoch nicht, ob er alle zur Abhol­ung avisierten Sendungen
erhal­ten hat. Ent­ge­gen der Mei­n­ung des Beschw­erde­führers war er zu
ein­er solchen Kon­trolle verpflichtet. 

Dabei hil­ft es dem Anwalt, der diese Kon­trolle unter­lässt, nichts, dass die Post Hil­f­sper­son der Absenderin ist:

Es kann ihn nicht ent­las­ten, dass auch der Postangestellte einen Fehler
machte, indem er ihm verse­hentlich nicht von sich aus alle drei
Sendun­gen über­gab. Die Post als Hil­f­sper­son des absendenden
Appel­la­tion­s­gerichts ist der Zustel­lungspflicht grundsätzlich
nachgekom­men, indem sie die Abhol­ung­sein­ladung in das Post­fach legte und
das Urteil zur Abhol­ung avisierte
. Wohl wird die Post darüber hinaus
dem Empfänger auf­grund der Vor­weisung der Abholungseinladung
nor­maler­weise alle darauf ver­merk­ten Sendun­gen übergeben. Wenn sie dies
ein­mal verse­hentlich nicht tut, bedeutet dies aber nicht, dass die ins
Post­fach gelegte Abhol­ung­sein­ladung mit der darauf ver­merk­ten Abholfrist
unter Zustel­lungsaspek­ten ein­fach als inex­is­tent zu betra­cht­en wäre. Vielmehr darf jeden­falls von einem Recht­san­walt erwartet wer­den, dass er
über­prüft, ob er alle zur Abhol­ung avisierten Sendun­gen erhal­ten hat.
Der Volon­tär hätte mithin prüfen müssen, ob ihm alle drei auf der
Abhol­ung­sein­ladung ver­merk­ten Sendun­gen übergeben wor­den sind.