5A_44/2013: “Gerichtliche Verfahren” im Sinne von Art. 1 lit. b ZPO (amtl. Publ.)

Der Anwen­dungs­bere­ich von Art. 1 lit. b ZPO war Gegen­stand des bun­des­gerichtlichen Urteils 5A_44/2013 vom 25. April 2013 (amtl. Publ.). Es ging um die Frage, ob auch dort von “gerichtlichen Ver­fahren” im Sinn dieser Bes­tim­mung zu sprechen ist, wo der Bun­des­ge­set­zge­ber dem Kan­ton die Beze­ich­nung der zuständi­gen Behörde über­lassen und dieser eine gerichtliche Behörde als zuständig beze­ich­net hat.

Im vor­liegen­den Fall war strit­tig, ob bei der Pro­tokol­lierung ein­er Erbauss­chla­gung gemäss Art. 570 Abs. 1 und 3 ZGB die ZPO als Bun­desrecht oder als kan­tonales Ver­fahren­srecht zur Anwen­dung kommt:

2.2 […] Wo das ZGB von ein­er “zuständi­gen Behörde” spricht, bes­tim­men gemäss Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB die Kan­tone, welche bere­its vorhan­dene oder erst zu schaf­fende Behörde zuständig sein soll (Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB). Soweit das ZGB nicht aus­drück­lich entwed­er vom Gericht oder von ein­er Ver­wal­tungs­be­hörde spricht, sind die Kan­tone frei, welche Behörde sie beze­ich­nen (vgl. Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB), wobei die Rechtsweg­garantie im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bzw. Art. 29a BV zu beacht­en ist […]. Im Kan­ton Zürich ist nach § 137 lit. e GOG das Einzel­gericht die zuständi­ge Behörde für die Ent­ge­gen­nahme von Ausschlagungserklärungen.

Dass der Kan­ton eine gerichtliche Behörde als zuständig erk­lärt hat, heisst aber nicht, dass das betr­e­f­fende Ver­fahren zu ein­er “gerichtlichen Angele­gen­heit” wird und von Bun­desrechts wegen automa­tisch in den Anwen­dungs­bere­ich der ZPO fällt:

2.2 […] Es kann vor dem Hin­ter­grund der Hier­ar­chie zwis­chen Bun­desrecht und kan­tonalem Recht nicht den Kan­to­nen über­lassen sein zu bes­tim­men, welche Angele­gen­heit­en zu den “gerichtlichen Ver­fahren” im Sinn von Art. 1 lit. b ZPO gehören. Ob die ZPO als Bun­desrecht zur Anwen­dung gelan­gen soll, kann von der Logik her allein der Bun­des­ge­set­zge­ber fes­tle­gen; dies ergibt sich auch aus dem Wort­laut von Art. 54 Abs. 3 SchlT ZGB. Abge­se­hen davon würde es zu einem uner­wün­scht­en Zus­tand führen, wenn für die gle­iche Ver­rich­tung die ZPO in gewis­sen Kan­to­nen als Bun­desrecht und in anderen als sub­sidiäres kan­tonales Recht zur Anwen­dung gelan­gen kön­nte […]. Die Maxime der ein­heitlichen Anwen­dung des Bun­desrechts spricht dafür, Art. 1 lit. b ZPO nur dort gel­ten zu lassen, wo das Bun­desrecht selb­st eine gerichtliche Behörde vorschreibt, und in den übri­gen Bere­ichen gestützt auf Art. 54 Abs. 3 SchlT ZGB das vom Kan­ton beze­ich­nete Recht als kan­tonales Ver­fahren­srecht anzuwenden.

Das bedeutet für den beurteil­ten Fall im Ergebnis:

2.2 […] Weil die Pro­tokol­lierung der Auss­chla­gung nicht zwin­gend einem Gericht obliegt, son­dern der Kan­ton in der Beze­ich­nung der zuständi­gen Behörde frei ist (Art. 570 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB), richtet sich das betr­e­f­fende Ver­fahren somit nach kan­tonalem Recht. Dieses kann nach dem Gesagten eine eigene Regelung auf­stellen oder auf eine bes­timmte Ver­fahren­sor­d­nung ver­weisen, neb­st Ver­wal­tungsrecht­spflegege­set­zen ins­beson­dere auf die ZPO, deren Nor­men dies­falls aber nicht Bun­desrecht, son­dern kan­tonales Recht darstellen […].