2C_1138/2013: Äusserungen eines Anwalts, die klar gegen den gebotenen Anstand verstossen, erreichen nicht gezwungenermassen die Schwelle eines zu sanktionierenden Verhaltens eines Prozessanwalts

Im Urteil vom 5. Sep­tem­ber 2014 lässt sich das BGer zu den Beruf­spflicht­en von Anwältin­nen und Anwäl­ten vernehmen. In der Sache ging es um die Aus­gestal­tung des Besuch­srechts eines nicht obhuts­berechtigten Vaters. Seine Anwältin A. führte im Gesuch um dringliche Anord­nung eines Besuch­srechts über die Wei­h­nacht­stage u.a. fol­gen­des aus:

  • ihr Man­dant habe die Gegen­partei vor dem “Abdriften in die Pros­ti­tu­tion” gerettet;
  • ihr Man­dant habe die Gegen­partei davor geschützt, “als Tänz­erin und Call-Girl arbeit­en zu müssen”;
  • die Gegen­partei wohne “mit einem noch — oder min­destens ehe­ma­li­gen Zuhäl­ter zusam­men, der sich mit seinem Elek­tron­iker­lohn keinen Mer­cedes von Fr. 180’000.– leis­ten könne”;
  • die Gegen­partei habe ihren Gat­ten mehrfach bestohlen und “ihrem Gat­ten ihre Exkre­mente in den Mer­cedes geset­zt und die Toi­lette nie gezo­gen” wenn sie Stuhl­gang hatte.

Diese Äusserun­gen ver­an­lassten die Anwältin der Ehe­frau zu ein­er Anzeige bei der Auf­sicht­skom­mis­sion über die Anwältin­nen und Anwälte des Kan­tons Luzern. Die Auf­sicht­skom­mis­sion diszi­plin­ierte Anwältin A. mit ein­er Busse von Fr. 500.–. Während das Kan­ton­s­gericht des Kan­tons Luzern das Urteil der Auf­sicht­skom­mis­sion stützte, heisst das BGer die Beschw­erde der Anwältin A. gut.

Zur Beruf­spflicht der Anwältin­nen und Anwälte äussert sich das BGer folgendermassen:

Als Beruf­spflicht obliegt den Anwältin­nen und Anwäl­ten in erster Lin­ie, die Inter­essen ihres Klien­ten best­möglich zu vertreten. Als Ver­fechter von Partei­in­ter­essen sind sie ein­seit­ig tätig. Dabei dür­fen sie ener­gisch auftreten und sich den Umstän­den entsprechend scharf aus­drück­en. Sie sind ins­beson­dere nicht verpflichtet, stets das für die Gegen­partei mildeste Vorge­hen zu wählen […]. Gle­ich­wohl sind nicht sämtliche Mit­tel durch die Ausübung der anwaltlichen Beruf­spflicht gerecht­fer­tigt. Äusserun­gen ein­er Anwältin oder eines Anwalts haben sach­be­zo­gen und nicht darauf aus­gerichtet zu sein, den Stre­it eskalieren zu lassen. Anwältin­nen und Anwälte sollen die Gegen­partei nicht unnötig ver­let­zen und jeden­falls keine Äusserun­gen täti­gen, welche in keinem Zusam­men­hang zum Stre­it­ge­gen­stand ste­hen oder gar wider besseres Wis­sen erfol­gen […] (E. 2.2).

Das BGer führt weit­er aus, dass die Äusserun­gen eines Anwalts oder ein­er Anwältin in Wahrnehmung der Inter­essen ihres Klien­ten ver­fas­sungsrechtlich durch die Mei­n­ungs­frei­heit (Art. 16 BV) gedeckt seien. Soweit Anwältin­nen und Anwälte ihren Dar­legungsrecht­en und ‑pflicht­en nachkä­men und sich im Rah­men sowie in den For­men des Prozess­es äussern wür­den, sei bedeut­sam, dass die Entschei­dung darüber, wie und mit welchen Worten die Inter­essen des Klien­ten best­möglich gewahrt wer­den, ihnen obläge. Die Auf­sichts­be­hör­den hät­ten sich entsprechend ein­er gewis­sen Zurück­hal­tung zu befleis­si­gen wenn sie darüber befind­en, ob bes­timmte Aus­führun­gen wirk­lich nötig waren oder über­zo­gen und unnötig ver­let­zend sind. 

Gemäss Auf­fas­sung des BGer seien die Äusserun­gen von Anwältin A. für die Erstre­itung eines Besuch­srechts über die Wei­h­nacht­stage nicht nötig und hät­ten unterbleiben kön­nen. Allerd­ings sei zu beacht­en, dass sie im Rah­men eines erbit­tert geführten Prozess­es um das Sorg­erecht erfol­gten, in welchem bei­de Parteien wenig zim­per­lich miteinan­der umge­gan­gen seien. Obwohl die Äusserun­gen von Anwältin A. klar gegen den gebote­nen Anstand ver­stossen wür­den und ausser­halb von ver­fahren­srechtlichen Dar­legungspflicht­en nicht getätigt wer­den kön­nten, erre­icht­en sie im prozes­sualen Zusam­men­hang unter den spez­i­fis­chen Umstän­den des Fall­es die Schwelle eines zu sank­tion­ieren­den Ver­hal­tens ein­er Prozes­san­wältin oder eines Prozes­san­walts noch nicht.