4A_98/2014: Fehlen Hinweise auf die Bedingungen der Krankentaggeldversicherung, wurde von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht nicht abgewichen (Art. 324a OR)

Der Arbeitsver­trag eines Gren­zgängers aus Frankre­ich sah vor, dass der Arbeit­ge­ber 0,35 % für die Kranken­taggeld­ver­sicherung abzieht. Das Betrieb­sre­gle­ment ergänzte in dieser Hin­sicht, im Ver­sicherungs­fall habe jed­er Mitar­beit­er während 720 Tagen Anspruch auf 80 % des Salairs.

Der Arbeit­ge­ber hat­te eine Kollek­tiv­taggeld­ver­sicherung abgeschlossen. Die All­ge­meinen Ver­sicherungs­be­din­gun­gen bes­timmten, dass Gren­zgänger nur während 90 Tagen nach Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es Anspruch auf Taggelder haben. Als der Gren­zgänger arbeit­sun­fähig und der Arbeitsver­trag gekündigt wurde, stellte die Ver­sicherung ihre Leis­tun­gen 90 Tage nach der Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es ein. Sie teilte dem Arbeit­nehmer überdies mit, als Gren­zgänger könne er nicht in die Einzelver­sicherung übertreten. Der Gren­zgänger klagte deshalb gegen den Arbeit­ge­ber unter anderem auf Schaden­er­satz für ent­gan­gene Taggelder (Urteil 4A_98/2014 vom 10. Okto­ber 2014).

Die kan­tonalen Gerichte vernein­ten den gel­tend gemacht­en Schaden­er­satzanspruch. Das Bun­des­gericht schützte im Ergeb­nis die Auf­fas­sung der Vorin­stanzen und wies die Beschw­erde des Arbeit­nehmers ab.

Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass bezüglich der Lohn­fortzahlungspflicht bei Arbeitsver­hin­derung drei Mod­elle zur Ver­fü­gung ste­hen (E. 4.2.1):

  1. Die geset­zliche Lösung ist in Art. 324a Abs. 1–3 OR geregelt und stellt die Min­i­mal­lö­sung dar. Gemäss dieser Vari­ante hat der Arbeit­nehmer keinen nachver­traglichen Lohn­fortzahlungsanspruch über die Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es hinaus. 
  2. Das zweite Mod­ell sieht kom­ple­men­täre Leis­tun­gen vor (“régime com­plé­men­taire”; Art. 324a Abs. 2 OR). Die Parteien kön­nen in ein­er form­los gülti­gen Vere­in­barung übereinkom­men, die geset­zliche Lohn­fortzahlungspflicht zu Gun­sten des Arbeit­nehmers zu erweitern. 
  3. Gemäss Art. 324a Abs. 4 OR kön­nen die Parteien schliesslich von der geset­zlichen Lösung durch schriftliche Abrede abwe­ichen, sofern min­destens gle­ich­w­er­tige Leis­tun­gen vere­in­bart wer­den. Eine Ver­sicherungslö­sung ist in der Regel als gle­ich­w­er­tig zu betra­cht­en, wenn während 720 Tagen Taggelder in der Höhe von 80 % des Salairs aus­gerichtet wer­den und eine Warte­frist von nur 2 bis 3 Tagen beste­ht, wobei die Prämien min­destens zur Hälfte vom Arbeit­ge­ber getra­gen wer­den müssen. Die schriftliche Vere­in­barung muss dabei zumin­d­est auf die All­ge­meinen Ver­sicherungs­be­din­gun­gen ver­weisen und von den Parteien des Arbeitsver­trages unterze­ich­net wor­den sein.

Im vor­liegen­den Fall bestand nach der Auf­fas­sung des Bun­des­gerichts keine schriftliche Vere­in­barung, mit der die geset­zliche Lösung wegbedun­gen wor­den wäre. Zwar hielt der Arbeitsver­trag fest, dass der Arbeit­nehmer einen Anteil der Prämien zu tra­gen hat­te. Der Indi­vid­u­alar­beitsver­trag enthielt jedoch keinen Ver­weis auf das Betrieb­sre­gle­ment oder die All­ge­meinen Ver­sicherungs­be­din­gun­gen. Auch son­st enthielt der Arbeitsver­trag keine Aus­führun­gen zu den Ver­sicherungsleis­tun­gen. Der Arbeit­nehmer hat­te vom Inhalt der All­ge­meinen Ver­sicherungs­be­din­gun­gen erst Ken­nt­nis erhal­ten, als der Ver­sicherungs­fall bere­its einge­treten und das Arbeitsver­hält­nis gekündigt war. Nicht erstellt war auch, ob der Arbeit­nehmer Ken­nt­nis vom Betrieb­sre­gle­ment erhal­ten hat­te. Das Bun­des­gericht legte die ver­traglichen Bes­tim­mungen deshalb als Kom­ple­men­tär­mod­ell aus. Auszuge­hen war von den geset­zlichen Ansprüchen. Diese wur­den für den Gren­zgänger erweit­ert, indem er während 90 Tagen nach Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es Taggelder erhielt. Darüber hin­aus standen dem Arbeit­nehmer keine Ansprüche zu (vgl. zum Ganzen E. 4.3).