1B_57/2014: Keine Privatklägerschaft im Strafverfahren für eine Gesellschaft nach Fusion mit der Geschädigten (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht beschäftigte sich jüngst mit der „weit­ge­hend ungelösten Frage“, ob und inwieweit bei ein­er Fusion die straf­prozes­sualen Parteirechte der über­tra­gen­den Gesellschaft per Recht­snach­folge (Art. 121 StPO) auf die übernehmende Gesellschaft übergehen.

Zum Sachver­halt: Im Ver­lauf eines Strafver­fahrens, in dem sich die geschädigte A. AG rechtswirk­sam als Pri­vatk­lägerin kon­sti­tu­iert hat­te, kam es zu ein­er Absorp­tions­fu­sion mit der Beschw­erde­führerin, der E. AG. Diese über­nahm alle Aktiv­en und Pas­siv­en; die A. AG wurde infolgedessen im Han­del­sreg­is­ter gelöscht. Später beantragte die E. AG ihre Zulas­sung als Pri­vatk­lägerin im Straf­prozess. Alle Instanzen vernein­ten eine Parteis­tel­lung der Beschwerdeführerin. 

Die Recht­snach­fol­ger von (natür­lichen oder juris­tis­chen) geschädigten Per­so­n­en treten nicht automa­tisch in die straf­prozes­sualen Ver­fahren­srechte ihrer Rechtsvorgänger ein. Sie sind vielmehr mit­tel­bar Geschädigte, die sich nicht als Pri­vatk­läger im Strafver­fahren kon­sti­tu­ieren kön­nen (BGE 139 IV 310 E. 1.2 S. 313). Ins­beson­dere führt die pri­va­trechtliche Uni­ver­sal­sukzes­sion auf­grund von Art. 22 Abs. 1 FusG nicht (per se) zur Parteis­tel­lung der übernehmenden Gesellschaft im Straf­prozess (Urteil 6B_549/2013 vom 24. Feb­ru­ar 2014 E. 3.2.2). Es ist vielmehr zwis­chen der pri­va­trechtlichen materiellen
Recht­snach­folge und der ziv­il- oder straf­prozes­sualen Parteistellung
inhaltlich zu dif­feren­zieren
(Urteil 6B_27/2014 vom 10. April 2014 E. 1.2).

Die Voraus­set­zun­gen der Pri­vatk­läger­schaft per Recht­snach­folge sind in Art. 121 StPO geregelt. Das Bun­des­gericht legt diese Bes­tim­mung lehrbuchar­tig im Wege des Meth­o­d­en­plu­ral­is­mus aus.

Nach seinem Wort­laut ist Art. 121 Abs. 1 StPO offen­sichtlich nur auf natür­liche Per­so­n­en anwend­bar, denn eine juris­tis­che Per­son stirbt nicht und hat keine erb­berechtigte Ange­höri­gen (vgl. Art. 110 Abs. 1 StGB). Und der Wort­laut von Art. 121 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf diejeni­gen, die auf­grund ein­er geset­zlichen Regress­norm automa­tisch in die Ansprüche der geschädigten Per­son einge­treten sind.

Auch die innere Sys­tem­atik des Geset­zes spricht für eine abschliessende und restrik­tive Regelung der Pri­vatk­läger­schaft. Die orig­inäre Pri­vatk­läger­schaft wird auf Geschädigte im Sinne der Legalde­f­i­n­i­tion in Art. 115 Abs. 1 StPO einge­gren­zt (Art. 118 Abs. 1 StPO). Und die Pri­vatk­läger­schaft per Recht­snach­folge wird in Art. 121 Abs. 1–2 StPO sys­tem­a­tisch abschliessend geregelt.

Aus den Mate­ri­alien zur StPO ergibt sich eben­falls nicht, dass die für die Parteis­tel­lung im Zivil­prozess gel­tenden Regeln (vgl. Art. 83 Abs. 1 und 4 ZPO) auch im Strafver­fahren Anwen­dung find­en soll­ten. Vielmehr wird in der Botschaft zur StPO aus­ge­führt, dass die pri­vat­en Ver­fahrens­beteiligten eines Straf­prozess­es “nicht mit den Parteien in einem Zivil­prozess ver­gle­ich­bar” sind, zumal ihnen die Partei­herrschaft fehlt (BBl 2006 1085, 1162 Ziff. 2.3.1.1).

Schliesslich spricht auch der Sinn und Zweck von Art. 121 StPO nicht für eine kor­rigierende Ausle­gung (con­tra bzw. extra leg­em) oder für die Annahme ein­er Geset­zes­lücke. Nur für gewisse Aus­nah­me­fälle wollte der Geset­zge­ber eine Parteis­tel­lung für Recht­snach­fol­ger schaf­fen, und zwar geschädigte natür­liche Per­so­n­en und ihre erb­berechtigten nahen Ange­höri­gen (Art. 121 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 110 Abs. 1 StGB) sowie — inhaltlich begren­zt auf die adhä­sion­sweise Durch­set­zung der Zivilk­lage — natür­liche und juris­tis­che Per­so­n­en, die von Geset­zes wegen in die Ansprüche des Geschädigten einge­treten sind (Art. 121 Abs. 2 StPO).

Das Bun­des­gericht fol­gert, dass ein grund­sät­zlich­er Unter­schied beste­ht zwis­chen Zivi­lansprüchen, die auf rechts­geschäftlichem Erwerb beruhen (z.B. Forderungsab­tre­tung und Schuldüber­nahme, gesellschafts- oder fusion­srechtliche Über­tra­gung von Aktiv­en), sowie Ansprüchen, die unmit­tel­bar auf­grund pri­vat- oder
öffentlichrechtlich­er Regress­nor­men (per Legalzes­sion bzw. Subrogation)
auf den Recht­snach­fol­ger überge­gan­gen sind: 

4.9.5. Auch wenn eine Gesellschafts­fu­sion nach Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 FusG […] zur Uni­ver­sal­sukzes­sion der Aktiv­en und Pas­siv­en führt, beruht sie primär auf einem rechts­geschäftlichen Akt, weshalb sie nach der Prax­is des Bun­des­gericht­es nicht unter Art. 121 Abs. 2 StPO fällt (Urteil 6B_549/2013 vom 24. Feb­ru­ar 2014 E. 3.2.1–3.2.2).

Eine Geset­zes­lücke erken­nt das Bun­des­gericht nicht:

4.9.6. Angesichts dieser detail­lierten und abschliessenden Regelung der Pri­vatk­läger­schaft per Recht­snach­folge liegt keine (echte) Geset­zes­lücke vor. Es wäre Sache des Geset­zge­bers, kor­rigierend einzu­greifen […]. Ins­beson­dere führen die anwend­baren Nor­men zu keinen sach­lich unhalt­baren oder stossend recht­sun­gle­ichen Kon­se­quen­zen.

Siehe auch die kri­tis­che Kom­men­tierung des Urteils von Kon­rad Jek­er auf seinem Blog “strafprozess.ch”.