2C_291/2014: Das neue Schulgesetz des Kantons Graubünden verstösst weder gegen die Sprachenfreiheit noch gegen die Gemeindeautonomie (amtl. Publ.)

In einem Urteil aus dem Dezem­ber 2014 äusserte sich das BGer zu Art. 32 des neuen Geset­zes vom 21. März 2012 für die Volkss­chulen des Kan­tons Graubün­den (Schulgesetz/GR; BR 421.000). Die Bes­tim­mung trägt die Mar­ginale “Schul­sprach­wech­sel in rätoro­man­is­chen Schulen” und lautet folgendermassen:

Entschei­det sich eine Gemeinde für den Wech­sel in der Schul­sprache vom Idiom zu Rumantsch Grischun oder umgekehrt, erfol­gt dieser auf­bauend von Schul­jahr zu Schuljahr.

Das neue Schulgesetz/GR wurde vom Grossen Rat des Kan­tons Graubün­den in der Dezem­bers­es­sion 2011 beschlossen und vom Regierungsrat auf den 1. August 2013 in Kraft geset­zt. Diverse Eltern von schulpflichti­gen Kindern aus der Sur­sel­va und dem Val Müs­tair führten beim BGer Beschw­erde mit dem Antrag, Art. 32 des Schulgesetzes/GR sei aufzuheben.  Die Eltern stören sich ins­beson­dere daran, dass es den Gemein­den zwar freis­te­he, von der Schul­sprache Rumantsch Grischun auf das Idiom zu wech­seln (oder umgekehrt), dass aber dieser Wech­sel für diejeni­gen Schüler, welche bere­its eingeschult wur­den, nicht mehr zum Tra­gen kommt.

Zunächst brin­gen die Eltern vor, dass sich Art. 32 des Schulgesetzes/GR nicht mit der in Art. 18 BV ver­ankerten Sprachen­frei­heit vere­in­baren lasse. Mit dieser Frage hat sich das BGer bere­its in BGE 139 I 229 auseinan­derge­set­zt und damals u.a. fol­gen­des festgehalten: 

Angesichts dieser Umstände kann nicht gesagt wer­den, dass sich der ver­fas­sungsrechtliche Anspruch auf Schu­lun­ter­richt in rätoro­man­is­ch­er Sprache spez­i­fisch auf die Idiome bezieht. Vielmehr lässt das kan­tonale Ver­fas­sungsrecht […] offen, welche Ver­sion des Rätoro­man­is­chen gemeint ist. Die Wahl zwis­chen Idiom und Rumantsch Grischun ist daher eher eine sprach­poli­tis­che als eine grun­drechtliche Frage. Dafür spricht auch, dass es  neben den Beschw­erde­führern, welche die Rück­kehr zum Idiom anstreben, ver­mut­lich auch (wenn auch wohl min­der­heitlich) Eltern gibt, welche lieber beim Rumantsch Grischun bleiben möcht­en (E. 5.7.5.).

Das BGer hält an der damals geäusserten Ansicht fest und fügt an, dass anlässlich der ver­fas­sungsrechtlichen Ver­ankerung des Rätoro­man­is­chen als Amtssprache im Verkehr mit Per­so­n­en rätoro­man­is­ch­er Sprache wed­er eines der ver­schiede­nen Idiome noch eine Schrift­sprache als Amtssprache erk­lärt wor­den sei , son­dern das Rätoro­man­is­che trotz der dialek­tis­chen Abwe­ichun­gen mit ihren Beson­der­heit­en und Ver­schieden­heit­en als eine ein­heitliche Sprache als solche.

In einem zweit­en Schritt äussert sich das BGer zur Gewährleis­tung der Gemein­deau­tonomie und prüft in diesem Zusam­men­hang, ob den Gemein­den eine rel­a­tiv erhe­bliche Entschei­dungs­frei­heit zukommt. Tre­ffe dies zu, müsse eruiert wer­den, ob Art. 32 Schulgesetz/GR diese Autonomie rel­a­tiviere und dies sach­lich gerecht­fer­tigt wer­den könne. 

Wed­er ver­fas­sungsrechtlich noch geset­zlich geregelt ist […], ob ein Idiom oder eine Schrift­sprache für als rätoro­man­isch definierte Sprachge­bi­ete als Schul­sprache Anwen­dung zu find­en hat. Ver­wal­tungs­gericht, Gross­er Rat und Regierung gehen übere­in­stim­mend davon aus, dass dieser Entscheid den Gemein­den obliegt. Daraus fol­gt, dass den Gemein­den dies­bezüglich eine rel­a­tiv erhe­bliche Entschei­dungs­frei­heit zukommt, weshalb sie in diesem Bere­ich als autonom anzuse­hen sind.

Die Autonomie der Gemein­den in der Fest­set­zung der Schul­sprache sei aber abzuwä­gen gegenüber der kan­tonalen Zuständigkeit, den Inhalt des Grund­schu­lun­ter­richts festzule­gen. Aus den par­la­men­tarischen Beratun­gen zu Art. 32 Schulgesetz/GR ergebe sich, dass der Grosse Rat der Auf­fas­sung gewe­sen sei, dass die Kinder aus päd­a­gogis­chen Grün­den im Ver­lauf der Schulzeit nicht zu einem Wech­sel der Schul­sprache gezwun­gen wer­den sollten.

Da Art. 32 Schulgesetz/GR eine sach­lich gerecht­fer­tigte Regelung enthält, weist das BGer die Beschw­erde ab.

Vgl. zum Ganzen auch die Berichter­stat­tung in der NZZ.