4A_414/2014: Praxisänderung bei negativer Feststellungsklage zur Abwehr einer ungerechtfertigten Betreibung (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hat im vor­liegen­den Entscheid die Voraus­set­zun­gen für eine neg­a­tive Fest­stel­lungsklage zur Abwehr ein­er ungerecht­fer­tigten Betrei­bung weit­er gelock­ert. Neu ist das schutzwürdi­ge Inter­esse an der Fest­stel­lung des Nichtbe­stands ein­er Forderung grund­sät­zlich zu beja­hen, sobald diese in Betrei­bung geset­zt wurde, ohne dass der Fest­stel­lungskläger konkret nach­weisen muss, dass er wegen der Betrei­bung in sein­er wirtschaftlichen Bewe­gungs­frei­heit empfind­lich beein­trächtigt wird. Das Bun­des­gericht hat über diesen Entscheid zudem eine Medi­en­mit­teilung publiziert.

Dem Urteil lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die A. AG, ein Inkas­soun­ternehmen (Beklagte / Beschw­erde­führerin), betrieb den B. (Kläger / Beschw­erdegeg­n­er) für eine ange­bliche Forderung über CHF 41’705.00. B. bestritt die Forderung, erhob Rechtsvorschlag und klagte gegen die A. AG auf Fest­stel­lung, dass die in Betrei­bung geset­zte Forderung nicht beste­he und dass die Betrei­bung ohne Schuld­grund ange­hoben wor­den sei. Die erste Instanz hiess die Klage insofern gut, als sie fest­stellte, dass zwis­chen Kläger und Beklagter kein Rechts- und Schuld­ver­hält­nis beste­ht und dass demzu­folge der Kläger den betriebe­nen Betrag nicht schuldet. Mit Beru­fung ver­langte die Beklagte, auf die Klage sei man­gels Fest­stel­lungsin­ter­esse über den Nichtbe­stand der Betrei­bungs­forderung nicht einzutreten. Das Oberg­ericht wies die Beru­fung ab. Die Beschw­erde­führerin beantragte mit Beschw­erde in Zivil­sachen, das Urteil des Oberg­erichts sei aufzuheben und auf die Klage des Beschw­erdegeg­n­ers sei nicht einzutreten.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die „Beson­der­heit des schweiz­erischen Voll­streck­ungsrechts“, wonach jed­er­mann eine Betrei­bung ein­leit­en kann, ohne den Bestand sein­er Forderung nach­weisen zu müssen, und unab­hängig davon, ob tat­säch­lich eine Schuld beste­ht (E. 2.1.).

Anschliessend reka­pit­ulierte das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zum Fest­stel­lungsin­ter­esse bei der (neg­a­tiv­en) Fest­stel­lungsklage vor Inkraft­treten der neuen ZPO und wies auf die Recht­slage unter Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO hin (E. 2.3.)

Danach ver­wies das Bun­des­gericht auf BGE 120 II 20, in welchem es sich einge­hend mit der Frage auseinan­derge­set­zt hat­te, unter welchen Voraus­set­zun­gen der (ange­bliche) Schuld­ner ein hin­re­ichen­des Inter­esse auf Fest­stel­lung des Nichtbeste­hens ein­er Forderung hat, nach­dem gegen ihn eine Betrei­bung ein­geleit­et wurde (E. 2.4.). Gemäss dieser Prax­is war von ein­er für den Betrei­bungss­chuld­ner unzu­mut­baren, ein Fest­stel­lungsin­ter­esse begrün­den­den Ungewis­sheit auszuge­hen, wenn namhafte Beträge und nicht bloss Bagatell­be­träge in Betrei­bung geset­zt wur­den und wenn er darzu­tun ver­mochte, dass er konkret auf­grund der Betrei­bung in sein­er wirtschaftlichen Bewe­gungs­frei­heit behin­dert wird. Dem Gläu­biger blieb allerd­ings der Nach­weis offen, dass ihm die Bewe­is­führung gegen­wär­tig aus trifti­gen Grün­den nicht zuzu­muten ist (E. 2.5.).

Das Bun­des­gericht stellte dann fest, dass diese Recht­sprechung in der Lehre Zus­tim­mung gefun­den hat­te, dass jedoch ver­schiedene Autoren für eine noch grosszügigere Hal­tung plädierten (E. 2.5.). Auf­grund neuer­er Entwick­lun­gen kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass eine weit­ere Lockerung der Voraus­set­zun­gen für die Zulas­sung der neg­a­tiv­en Fest­stel­lungsklage gerecht­fer­tigt sei (E. 2.6.). Das Bun­des­gericht führte schliesslich aus (E. 2.7.): 

„Angesichts dieser Entwick­lun­gen und unter Berück­sich­ti­gung der vorste­hend dargestell­ten Lehrmei­n­un­gen […] erscheint es sachgerecht und gerecht­fer­tigt, die in BGE 120 II 20 ein­geleit­ete Prax­is weit­er zu lock­ern und das schutzwürdi­ge Inter­esse an der Fest­stel­lung des Nichtbe­stands der Forderung grund­sät­zlich zu beja­hen, sobald diese in Betrei­bung geset­zt wurde, ohne dass der Fest­stel­lungskläger konkret nach­weisen muss, dass er wegen der Betrei­bung in sein­er wirtschaftlichen Bewe­gungs­frei­heit empfind­lich beein­trächtigt wird. […] Für den (ange­blichen) Gläu­biger, der eine Forderung ohne vorheri­gen Prozess in Betrei­bung set­zt, obwohl sie bestrit­ten ist und er daher mit der Erhe­bung eines Rechtsvorschlages rech­nen muss, ist es zumut­bar, diese Forderung in einem Zivil­prozess zu vertei­di­gen. Sein Inter­esse, sich mit der prozes­sualen Auseinan­der­set­zung bis nach Ablauf der Frist nach Art. 88 Abs. 2 SchKG Zeit zu lassen, hat dem­jeni­gen des betriebe­nen Schuld­ners, der durch die Betrei­bung in sein­er Kred­itwürdigkeit und Rep­u­ta­tion beein­trächtigt wird, zu weichen. Zu beacht­en ist dabei, dass der (ange­bliche) Gläu­biger alle­mal die Möglichkeit hat, die Betrei­bung zurück­zuziehen; damit ent­fällt das Rechtschutz­in­ter­esse an der neg­a­tiv­en Feststellungsklage […].“ 

Vor­be­hal­ten bleibe einzig der Fall, in dem die Betrei­bung nach­weis­lich einzig zur Unter­brechung der Ver­jährung ein­geleit­et wer­den musste, nach­dem der (ange­bliche) Schuld­ner die Unterze­ich­nung ein­er Ver­jährungsverzicht­serk­lärung ver­weigert habe, und die Forderung vom (ange­blichen) Gläu­biger aus trifti­gen Grün­den nicht sofort im vollem Umfang gerichtlich gel­tend gemacht wer­den könne (E. 2.7.).

Die Beschw­erde wurde dem­nach abgewiesen.