1C_63/2015, 1C_109/2015, 1C_237/2015, 1C_293/2015: Das Resultat der Abstimmung zur Volksinitiative “Gegen Masseneinwanderung” ist der bundesgerichtlichen Überprüfung nicht (mehr) zugänglich

Im Urteil vom 24. August 2015 befasste sich das BGer mit der Frage, ob die Stimm­bürg­erin­nen und Stimm­bürg­er im Vor­feld der Abstim­mung zur Volksini­tia­tive “Gegen Massenein­wan­derung” in unzuläs­siger Weise bee­in­flusst wor­den sind. Besagte Volksab­stim­mung fand am 9. Feb­ru­ar 2014 statt. Mit Erwahrungs­beschluss vom 13. Mai 2014 stellte der Bun­desrat fest, dass die Volksini­tia­tive vom Volk mit 1’463’854 Ja-Stim­men gegen 1’444’552 Nein-Stim­men angenom­men wurde. Thomas Poled­na und David Gibor führten gegen den Erwahrungs­beschluss Beschw­erde beim BGer und platzierten eine weit­ere Beschw­erde beim Regierungsrat des Kan­tons Zürich. Den Nichtein­tretensentscheid des Regierungsrats zogen die Beschw­erde­führer eben­falls bis vor BGer.

Zunächst führt das BGer in einem the­o­retis­chen Teil aus, wie Beschw­er­den, mit denen die Rechts- und Ver­fas­sungsmäs­sigkeit ein­er eid­genös­sis­chen Volksab­stim­mung wegen erst nachträglich bekan­nt gewor­den­er schw­er­wiegen­der Män­gel in Frage gestellt wird, geprüft werden:

  • Schritt 1: Prü­fung, ob die Voraus­set­zun­gen für eine Neubeurteilung des bere­its abgeschlosse­nen Abstim­mungsver­fahrens gegeben sind (Unregelmäs­sigkeit­en von erhe­blich­er Trag­weite; Tat­sachen und Beweis­mit­tel, die sich auf Fak­ten beziehen, die im Zeitraum der Abstim­mung und während der anschliessenden Beschw­erde­frist bere­its vorhan­den, aber nicht bekan­nt waren [unechte Noven]; Neubeurteilung nicht zeitlich unbegrenzt). 
  • Schritt 2: Materielle Beurteilung der Abstim­mung unter Berück­sich­ti­gung der neuen Tat­sachen und Beweise.
Sodann würdigt das BGer die Vor­brin­gen der Beschw­erde­führer. Diese machen gel­tend, dass die Stimm­berechtigten vor der Abstim­mung über die Volksini­tia­tive “Gegen Massenein­wan­derung” durch ein Plakat der SVP in unzuläs­siger Weise bee­in­flusst wor­den seien. Die Beschw­er­den seien erst nachträglich erhoben wor­den, da ein Ver­fahren vor dem Region­al­gericht Bern-Mit­tel­land habe abge­wartet wer­den müssen, in dem zwei Per­so­n­en wegen des Plakats und gestützt auf Art. 261bis Abs. 1 StGB der Rassendiskri­m­inierung schuldig gesprochen wor­den seien. Das BGer sagt dazu folgendes:

Die Beschw­erde­führer haben von der Exis­tenz des erwäh­n­ten Plakats, von seinem Inhalt sowie der Art und Weise sein­er Ver­wen­dung unbe­strit­ten­er­weise bere­its vor der eid­genös­sis­chen Volksab­stim­mung vom 9. Feb­ru­ar 2014 Ken­nt­nis erlangt. Sie hät­ten ohne weit­eres innert der Frist von Art. 77 Abs. 2 BPR Abstim­mungs­beschw­erde beim Regierungsrat erheben und rügen kön­nen, das Plakat bzw. die Inser­ate bee­in­flussten die Stimm­berechtigten in unzuläs­siger Weise. Soweit die Beschw­erde­führer (sin­ngemäss) gel­tend machen, sie hät­ten erst anlässlich der Anklageer­he­bung durch die Staat­san­waltschaft im Dezem­ber 2014, der Anklagezu­las­sung durch das Region­al­gericht im Jan­u­ar 2015 bzw. der erstin­stan­zlichen Verurteilung von zwei Per­so­n­en durch das Region­al­gericht Ende April 2015 erken­nen kön­nen, dass das umstrit­tene Plakat strafrechtlich rel­e­vant sein kön­nte, beziehen sie sich nicht auf Fak­ten, die zur Zeit der Abstim­mung bere­its vorhan­den, aber noch unbekan­nt waren bzw. unbeachtet bleiben kon­nten […] (E. 4.2.). 

Das BGer kommt vor diesem Hin­ter­grund zum Schluss, dass die Voraus­set­zun­gen für eine Neubeurteilung des bere­its abgeschlosse­nen Abstim­mungsver­fahrens nicht gegeben sind. Inwiefern das BGer zur Aufhe­bung der Volksab­stim­mung befugt gewe­sen wäre, wenn Män­gel von auss­chlaggeben­der Bedeu­tung für das Abstim­mungsre­sul­tat vorgele­gen hät­ten, wird im Entscheid offengelassen.