4A_425/2015: Bundesgericht schränkt Klagebefugnis der Nachlassmasse bei Verantwortlichkeitsklagen ein (Praxisänderung; amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bilde­ten Zahlun­gen, welche die SAir­Group vor Ein­re­ichung des Nach­lassstun­dungs­ge­suchs geleis­tet hat­te. Die Nach­lass­masse der SAir­Group erhob im Zusam­men­hang mit diesen Zahlun­gen eine Ver­ant­wortlichkeit­sklage gegen ehe­ma­lige Organ­mit­glieder wegen Gläubigerschädigung.

Dem Bun­des­gericht bot dieses Ver­fahren Gele­gen­heit, sich von seinem “Raich­le-Entscheid” (BGer 5C.29/2000 vom 19. Sep­tem­ber 2000) im Lichte der sei­theri­gen Entwick­lung der Prax­is zu dis­tanzieren. Das Bun­des­gericht hat­te in diesem Ver­fahren der Konkursver­wal­tung die Aktivle­git­i­ma­tion zuerkan­nt (E. 4.2),

den Schaden, der den Gläu­bigern durch Ver­min­derung des Ver­w­er­tungssub­strats ent­standen war, mit­tels Ver­ant­wortlichkeit­sklage gegen die fehlbaren Organe gel­tend zu machen, unab­hängig davon, ob bei der Gesellschaft (bzw. im Konkurs bei der Konkurs­masse) eine Ver­mö­gensver­min­derung, mithin ein Schaden vorlag

Das Bun­des­gericht rief zunächst in Erin­nerung, dass dieser Raich­le-Entscheid vor dem Hin­ter­grund erfol­gt war, einen Wet­t­lauf zwis­chen ein­er­seits direkt in ihrem Ver­mö­gen und ander­er­seits indi­rekt geschädigten Gläu­bigern zu ver­hin­dern. Vor diesem Hin­ter­grund schränk­te das Bun­des­gericht die Aktivle­git­i­ma­tion von direkt geschädigten Gläu­bigern zur Gel­tend­machung von Ver­ant­wortlichkeit­sansprüchen im Konkurs weit­ge­hend ein und ges­tand der Konkursver­wal­tung die Aktivle­git­i­ma­tion zu, einen Schaden gel­tend zu machen, der nicht im Ver­mö­gen der Gesellschaft, son­dern auss­chliesslich in jen­em der Gläu­biger ent­standen war (E. 4.2.1).

Anschliessend stellte das Bun­des­gericht die seit dem Raich­le-Entscheid ergan­gene Recht­sprechung dar, in welch­er es die vorste­hend genan­nten Ein­schränkun­gen aufgegeben hat­te. Das Bun­des­gericht bestätigte dabei die uneingeschränk­te Aktivle­git­i­ma­tion von Gläu­bigern aus Pflichtver­let­zun­gen, die nur zu deren unmit­tel­baren Schädi­gung in deren Ver­mö­gen, nicht aber im Ver­mö­gen der Gesellschaft geführt hat­ten (E. 4.2.2 mit Ver­weis auf BGE 131 III 306 und BGE 132 III 564; bestätigt in BGE 141 III 112).

Bei dieser Recht­slage, so das Bun­des­gericht weit­er, recht­fer­tige es sich nicht mehr, auch der Konkurs- bzw. Nach­lass­masse die Aktivle­git­i­ma­tion zur Gel­tend­machung des auss­chliesslich den Gläu­bigern ent­stande­nen Schadens zuzugeste­hen. Dafür biete das Ver­ant­wortlichkeit­srecht keine Hand­habe (E. 4.3):

Die Klage der Gesellschaft bzw. der Nach­lass­masse (action sociale), set­zt voraus, dass im Ver­mö­gen der Gesellschaft bzw. deren Masse ein Schaden im Sinne der Dif­feren­zthe­o­rie einge­treten ist. Denn nur ein solch­er Gesellschaftss­chaden ist nach nun ganz herrschen­der Auf­fas­sung Gegen­stand der Klage der durch die Konkursver­wal­tung vertrete­nen Masse (…) bzw. der aktien­rechtlichen Son­der­regelung nach Art. 756 — 758, was sich aus­drück­lich aus der Mar­gin­alie zu diesen Bes­tim­mungen ergibt, die von “Schaden der Gesellschaft” spricht (…).

Und weit­er:

Ist auss­chliesslich ein Schaden im Ver­mö­gen von Konkurs­gläu­bigern einge­treten, wird dieser nach dem Gesagten von der geset­zlichen Regelung, die der Konkurs­masse eine Befug­nis zur Gel­tend­machung von Ver­ant­wortlichkeit­sansprüchen ein­räumt, nicht erfasst. Er kann auss­chliesslich und ohne Ein­schränkun­gen von den nicht befriedigten Gläu­bigern gel­tend gemacht werden (…).

Entsprechend ist die Beschw­erde­führerin als Nach­lass­masse nicht legit­imiert, den von ihr vor­liegend eingeklagten Schaden, beste­hend in ein­er blossen Ver­min­derung des Ver­w­er­tungssub­strats, mit Ver­ant­wortlichkeit­sklage gegen die Gesellschaft­sor­gane gel­tend zu machen.

Die Beschw­erde­führerin berief sich zudem auf die in BGE 117 II 432 begrün­dete “Raschein-Dok­trin” des Bun­des­gerichts. Gemäss dieser Recht­sprechung wird im Konkurs der Gesellschaft der Anspruch aus dem Recht der Gesellschaft durch einen ein­heitlichen Anspruch der Gläu­bigerge­samtheit abgelöst, den primär die Konkurs­masse, vertreten durch die Konkursver­wal­tung, gel­tend zu machen befugt ist. Die Beschw­erde­führerin — so das Bun­des­gericht — verkenne, dass dieser ein­heitliche Anspruch der Gläu­bigerge­samtheit (E. 4.4)

bloss Ansprüche umfasst, die sich aus dem Recht der Gesellschaft (bzw. im Konkurs der Konkurs­masse) aus ein­er Schädi­gung im Sinne der Dif­feren­zthe­o­rie ableit­en (…). Nicht darunter fall­en dage­gen Ansprüche der Gläu­biger aus ein­er Schädi­gung, die allein sie im Konkurs wegen ein­er blossen Ver­min­derung des Ver­w­er­tungssub­strats infolge Bezahlung ein­er fäl­li­gen Schuld durch die Gesellschaft erlit­ten haben, ohne dass gle­ichzeit­ig eine Schädi­gung der Gesellschaft vor­liegt, da bei ihr der Abnahme von Aktiv­en eine gle­ichzeit­ige Abnahme der Pas­siv­en gegenübersteht.

Zusam­menge­fasst unter­schei­det das
Bun­des­gericht somit zwis­chen dem Schaden im Ver­an­wortlichkeit­srecht und der
Reduk­tion des Ver­w­er­tungssub­strats, die Gegen­stand ein­er Pau­lian­is­chen Anfech­tungsklage bildet.