4A_675/2015: Werkcharakter eines Wohnhauses bejaht, hier aber keine Entstellung (URG 11 II) durch spätere Änderung

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Ver­fahren zu entschei­den, ob eine Änderung an einem Bauw­erk in das Urhe­ber­recht des Architek­ten einge­grif­f­en hat. Dabei ging es um ein neu erstelltes, ungewöhn­lich­es Wohn­haus aus Sicht­be­ton mit ein­er beson­deren Dachkon­struk­tion. Das Haus ver­fügte über eine über­dachte, son­st aber ungeschützte Ter­rasse. Die Bauher­ren liessen die Ter­rasse später zum Schutz vor Wind und Regen durch eine Kon­struk­tion aus Glas und Met­all schliessen. Das KGer VD hat­te darin eine Entstel­lung des Werks iSv URG 11 II erkan­nt. Das BGer hebt dieses Urteil auf und weist die Klage de Architek­tin ab:

Zunächst bejaht das BGer die Werkqual­ität des fraglichen Bauw­erks, wobei es präzisierte, dass dabei auf das Haus ins­ge­samt und nicht nur auf die Ter­rasse abzustellen war. Es hielt dabei ins­beson­dere fol­gende Punk­te fest:

  • Entschei­dend ist der im Werk zum Aus­druck kom­mende Grad der Indi­vid­u­al­ität. “Indi­vidi­al­ität” liegt vor, wenn es aus­geschlossen erscheint, dass ein Drit­ter die gestellte Auf­gabe in gle­ich­er Weise lösen würde. Die Indi­vid­u­al­ität ergibt sich aus den indi­vidu­ellen Entschei­dun­gen des Schöpfers und zeigt sich in ungewöhn­lichen und über­raschen­den Kombinationen. 
  • Die Anforderun­gen an die Indi­vid­u­al­ität sind allerd­ings abhängig vom Grad der Frei­heit des Schöpfers. Je gröss­er die Sachzwänge, desto geringer ist also die geforderte Individualität:

    (…) il en va notam­ment ain­si pour les oeu­vres d’ar­chi­tec­ture en rai­son de leur usage pra­tique et des con­traintes tech­niques qu’elles doivent respecter. Aus­si, pour obtenir la pro­tec­tion du droit d’au­teur, l’ar­chi­tecte ne doit-il pas créer quelque chose d’ab­sol­u­ment nou­veau, mais il peut se con­tenter d’une créa­tion qui est seule­ment rel­a­tive­ment et par­tielle­ment nou­velle. La LDA n’ac­corde toute­fois pas sa pro­tec­tion à l’ar­chi­tecte lorsqu’il procède à un sim­ple apport arti­sanal par la com­bi­nai­son et la mod­i­fi­ca­tion de formes et de lignes con­nues ou lorsqu’il ne dis­pose d’au­cune lib­erté de création (…).

Grund­sät­zlich ist sodann allein der Urhe­ber berechtigt, das Werk zu ändern (URG 11 I). Bei Werken der Baukun­st ste­ht das Änderungsrecht demge­genüber dem Eigen­tümer zu (URG 12 III), aber unter Vor­be­halt  des Entstel­lungsver­bots (URG 11 II).

Dafür war zunächst das Ver­hält­nis zwis­chen URG 11 II und ZGB 28 zu klären. Das BGer hält dabei fest, dass bei der Beurteilung der per­sön­lichkeitsver­let­zen­den Entstel­lung — anders als bei ZGB 28 — keine Inter­essen­ab­wä­gung vorzunehmen ist. Dies fol­gt daraus,

  • dass URG 11 II nicht auf ZGB 28 ver­weist und
  • dass URG 11 II auch inhaltlich von ZGB 28 abwe­icht, indem er eine Beru­fung auf das Entstel­lungsver­bot auch dann erlaubt, wenn die fragliche Änderung an sich ver­traglich oder geset­zlich erlaubt ist.

Mass­ge­blich ist deshalb alleine die Schwere des Ein­griffs in die Per­sön­lichkeit des Schöpfers. 
Dabei ist auf die Inten­sität der Beziehung zwis­chen Werk und Schöpfer abzustellen, die nach fol­gen­den Fak­toren zu beurteilen ist: 

  • den Grad der Indi­vid­u­al­ität: je gröss­er die Indi­vid­u­al­ität, desto eher ist eine ver­let­zende Entstel­lung zu bejahen;
  • Charak­ter und Bes­tim­mung des Werks: bei Nutzbaut­en wie zB Schulen oder Einkauf­szen­tren ist eine Änderung eher hinzunehmen als bei anderen Baut­en wie zB Kirchen;
  • die Bekan­ntheit des ursprünglichen Werks zB durch Pub­likum­söf­fentlichkeit oder Fach­pub­lika­tio­nen: je bekan­nter das Werk in sein­er ursprünglichen Fas­sung wurde, desto geringer ist das Risiko, dass eine spätere Änderung die Wahrnehmung des Schöpfers beeinträchtigt;
  • Aus­mass, Ästhetik und Zweck der Änderun­gen: Änderun­gen aus rein ästhetis­chen Grün­den sind eher ver­let­zend als zweck­o­ri­en­tierte Änderungen.

Im Ergeb­nis sieht das BGer vor­liegend keine Entstel­lung, ins­beson­dere weil

  • bei Wohn­baut­en der Nutzz­weck im Vorder­grund ste­ht, so dass Ein­griffe eher berechtigt sind,
  • das Bauw­erk zwar Werkcharak­ter aufwies, aber keinen erhöht­en Grad an Individualität;
  • das Bauw­erk über sechs Jahre Gegen­stand mehrerer Fach­pub­lika­tio­nen war;
  • die Änderung funk­tion­al, nicht ästhetisch motiviert wae