4A_82/2016: Subjektive Tragweite einer Schiedsvereinbarung

Im Entscheid 4A_82/2016 vom 6. Juni 2016 prüfte das Bun­des­gericht, ob das Schieds­gericht zuständig war zur Beurteilung von Ansprüchen gegen die Beschwerdeführerin.

Die B. AG (Beschw­erdegeg­ner­in) leit­ete ein Schiedsver­fahren ein gegen die A. AG (Beschw­erde­führerin). Die Klage stand im Zusam­men­hang mit der Stil­l­le­gung ein­er Abwasser­reini­gungsan­lage. Die B. AG stellte sich auf den Stand­punkt, die A. AG hafte für einen Teil der dadurch verur­sacht­en Kosten. Die B. AG stützte sich dabei auf einen zwis­chen der D. AG und der E. AG abgeschlosse­nen Rah­men­ver­trag, der den Betrieb der Anlage geregelt haben soll und in Art. 2 Abs. 4 Fol­gen­des vorsah:

D. und E. garantieren sich gegen­seit­ig, dass ihre genan­nten Tochterge­sellschaften und deren Vertreter sämtliche ihnen in diesem Ver­trag zugedacht­en Pflicht­en erfüllen.

Der Rah­men­ver­trag enthielt in Art. 19 eine Schied­sklausel, die wie fol­gt lautete:

Der vor­liegende Ver­trag unter­ste­ht dem schweiz­erischen Recht.
Dif­feren­zen über den Bestand oder die Durch­führung dieses Ver­trages, welche die Parteien nicht gütlich beseit­i­gen kön­nen, wer­den von einem Schieds­gericht mit Sitz in Basel entsch­ieden. Das Schieds­gericht soll nach Möglichkeit von bei­den Parteien gemein­sam bestellt wer­den. Im übri­gen gel­ten die Bes­tim­mungen des Konko­r­dates vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit.

15 Jahre nach Abschluss des Rah­men­ver­trags wurde auf der Grund­lage ein­er als “Umbrel­la Agree­ment” beze­ich­neten Vere­in­barung nach aArt. 181 OR ein Teil des Unternehmens der D. AG an die Beschw­erde­führerin aus­gegliedert. Ein Jahr später fusion­ierten die D. AG und die E. AG zur B. AG.

Die Beschw­erde­führerin betra­chtete sich nicht an die Schied­sklausel im Rah­men­ver­trag gebun­den und erhob dementsprechend im Schiedsver­fahren eine Unzuständigkeit­seinrede. Das Schieds­gericht erk­lärte sich in einem selb­ständig eröffneten Zwis­ch­enentscheid als zuständig, die gegenüber der Beschw­erde­führerin gel­tend gemacht­en Ansprüche zu beurteilen.

Die Beschw­erde­führerin erhob gegen diesen Schiedsspruch Beschw­erde und
rügte, das Schieds­gericht habe sich zu Unrecht für zuständig erklärt
(Art. 393 lit. b ZPO). 

Das Bun­des­gericht erk­lärte ein­lei­t­end, dass die Frage der Zuständigkeit des Schieds­gerichts auch diejenige nach der sub­jek­tiv­en Trag­weite der Schiedsvere­in­barung umfasst. Das Schieds­gericht hat im Rah­men der Prü­fung sein­er Zuständigkeit abzuk­lären, welche Per­so­n­en durch die Schiedsvere­in­barung gebun­den sind. Das Bun­des­gericht ver­wies auf den Grund­satz der Rel­a­tiv­ität ver­traglich­er Verpflich­tun­gen, wonach eine Schied­sklausel in einem Schuld­ver­trag grund­sät­zlich nur die Ver­tragsparteien bindet. Das Bun­des­gericht bejaht allerd­ings seit langem, dass eine Schied­sklausel unter gewis­sen Voraus­set­zun­gen auch Per­so­n­en binden kann, die den Ver­trag nicht unterze­ich­net haben und darin auch nicht erwäh­nt wer­den, so etwa bei der Abtre­tung ein­er Forderung, bei ein­er (ein­fachen oder kumu­la­tiv­en) Schuldüber­nahme oder bei ein­er Vertragsübernahme. 

Betr­e­f­fend den Rah­men­ver­trag erk­lärte das Bun­des­gericht, dass bei der Zuständigkeit­sprü­fung zu beurteilen sei, ob es sich bei Art. 2 Abs. 4 des Rah­men­ver­trags um eine Verpflich­tung der Rechtsvorgän­gerin der Beschw­erde­führerin, der D. AG, han­delte, die im Rah­men ein­er Schuldüber­nahme nach Art. 176 OR bzw. ein­er Geschäft­süber­nahme nach Art. 181 Abs. 1 OR über­nom­men wer­den kon­nte, so dass gegebe­nen­falls auch die Schiedsvere­in­barung in Art. 19 des Rah­men­ver­trags als Neben­recht (Art. 178 Abs. 1 i.V.m. Art. 181 Abs. 3 OR) auf die neue Schuld­ner­in überg­ing. Gegen­stand der Schuldüber­nahme kön­nen näm­lich nur über­trag­bare Schulden sein. Grund­sät­zlich kann aber irgen­deine Schuld über­nom­men wer­den, so auch eine bed­ingte, ver­jährte oder kün­ftige Schuld.

Nach Ausle­gung von Art. 2 Abs. 4 des Rah­men­ver­trags gelangte das Bun­des­gericht zum Schluss, dass dem Schieds­gericht keine bun­desrechtswidrige Ver­tragsausle­gung vorzuw­er­fen war, wenn es ent­ge­gen den Vor­brin­gen der Beschw­erde­führerin in Art. 2 Abs. 4 des Rah­men­ver­trags nicht bloss eine nicht bindende (Patronats-) Erk­lärung der Mut­terge­sellschaft, son­dern eine über­trag­bare Verpflich­tung der Ver­tragsparteien erblick­te. Das Bun­des­gericht erachtete dem­nach den in der Beschw­erde erhobe­nen Ein­wand als unbe­grün­det, es han­dle sich nicht um eine Verpflich­tung, die — mit­samt der Schied­sklausel in Art. 19 — auf sie hätte über­tra­gen wer­den können.

Auch mit Blick auf das Umbrel­la Agree­ment stützte das Bun­des­gericht die schieds­gerichtliche Erwä­gung, wonach mit dem Abschluss des Umbrel­la Agree­ments sämtliche das Chemiegeschäft betr­e­f­fend­en Rechte und Pflicht­en, inklu­sive der Verpflich­tung in Art. 2 Abs. 4 des Rah­men­ver­trags, auf die Beschw­erde­führerin überge­gan­gen seien. Entsprechend war mit dem Über­gang der Verpflich­tung aus Art. 2 Abs. 4 des Rah­men­ver­trags auf die Beschw­erde­führerin auch die in Art. 19 enthal­tene Schiedsvere­in­barung überge­gan­gen (Art. 178 Abs. 1 i.V.m. Art. 181 Abs. 3 OR).

Das Bun­des­gericht fol­gerte, dass das Schieds­gericht die Unzuständigkeit­seinrede dem­nach zu Recht abgewiesen hatte.