4A_293/2016: Kündigung des Mietverhältnisses; Geltung der absoluten Empfangstheorie (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht bestätigte in diesem Urteil die Gel­tung der absoluten Emp­fangs­the­o­rie im Zusam­men­hang mit der Kündi­gung eines Mietverhältnisses.

Der Sachver­halt präsen­tierte sich wie fol­gt: Der Ver­mi­eter kündigte am 29. Novem­ber 2013 mit amtlichem For­mu­lar das Mietver­hält­nis. Ferienbe­d­ingt kon­nten die Mieter die Kündi­gung nicht ent­ge­gen­nehmen. Der Post­bote legte deshalb am 2. Dezem­ber 2013 eine Abholein­ladung in deren Briefkas­ten. Die Mieter fan­den diese Abholein­ladung erst am let­zten Tag der Abhol­frist (9. Dezem­ber 2013) zu einem so späten Zeit­punkt, dass der Gang zur Post nicht mehr möglich war. Am 23. Jan­u­ar 2014 sandte der Ver­mi­eter den Mietern mit ein­fachem Schreiben eine Kopie der Kündi­gung vom 29. Novem­ber 2013 und wies diese darauf hin, dass die Kündi­gung am let­zten Tag der Abholein­ladung als zugestellt gelte und dementsprechend ihre volle Wirk­samkeit ent­falte. Die Mieter leit­eten daraufhin am 7. Feb­ru­ar 2014 das Begehren um Anfech­tung der Kündi­gung ein.

Das erstin­stan­zliche Gericht erk­lärte die Klage für unzuläs­sig. Es erwog, die Kündi­gung sei bei den Mietern am Tag nach­dem die Abholein­ladung in deren Briefkas­ten gelegt wor­den war einge­gan­gen; also am 3. Dezem­ber 2013. Das Anfech­tungs­begehren der Mietern vom 7. Feb­ru­ar 2014 sei deshalb ver­spätet erfolgt.

Die kan­tonale Rechtsmit­telin­stanz hob dieses Urteil auf, erk­lärte die Kündi­gungsan­fech­tung der Mieter für zuläs­sig und wies die Angel­gen­heit zur Beurteilung an die Erstin­stanz zurück. Es erwog ins­beson­dere, dass die Mieter die Kündi­gung gar nicht hat­ten abholen kön­nen und zudem gar nicht mit ein­er Sendung des Ver­mi­eter hat­ten rech­nen müssen.

Das Bun­des­gericht erin­nerte an die bish­er ergan­gene Recht­sprechung, wonach bei der Zustel­lung der Kündi­gung im Mietrecht die uneingeschränk­te Emp­fangs­the­o­rie gelte (v.a. BGE 140 III 244, E. 5; BGE 137 III 208, E. 3.1.2) und wonach der Anfang des Fris­ten­laufs dem Zeit­punkt entspreche, in welchem die Wil­len­säusserung in den Macht­bere­ich des Empfängers oder seines Vertreters gelangt sei, so dass der Adres­sat bei nor­maler Organ­i­sa­tion seines Geschäftsverkehrs in der Lage sei, davon Ken­nt­nis zu nehmen (BGE 137 III 208, E. 3.1.2). Bei einem eingeschriebe­nen Brief gelte, wenn ihn der Post­bote dem Adres­sat­en oder einem zur Ent­ge­gen­nahme der Sendung ermächtigten Drit­ten nicht tat­säch­lich aushändi­gen kon­nte und er im Briefkas­ten oder im Post­fach des Adres­sat­en eine Abhol­ung­sein­ladung hin­ter­lässt, dass die Sendung zuge­gan­gen sei, sobald der Empfänger gemäss Abhol­ung­sein­ladung bei der Post­stelle davon Ken­nt­nis nehmen könne; dabei han­dle es sich um den sel­ben Tag, an dem die Abhol­ung­sein­ladung im Briefkas­ten hin­ter­legt wurde, wenn vom Adres­sat­en erwartet wer­den könne, dass er die Sendung sofort abholt, andern­falls in der Regel um den darauf fol­gen­den Tag (BGE 137 III 208, E. 3.1.2). Die im Zivil­prozess gel­tende Zustel­lungs­fik­tion (Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO) gelte nicht für die Fris­ten des materiellen Rechts. Das Bun­des­gericht erin­nerte zudem daran, dass das Sys­tem der absoluten Emp­fangs­the­o­rie den gegen­sät­zlichen Inter­essen der bei­den Parteien, also denen des Absenders und des Empfängers, in aus­ge­wo­gen­er Weise Rech­nung trage. Der Absender trage das Risiko der Über­mit­tlung der Sendung bis zum Zeit­punkt, in welchem sie in den Macht­bere­ich des Adres­sat­en gelangt, während dieser inner­halb seines Macht­bere­ichs das Risiko trage, dass er von der Mit­teilung ver­spätet beziehungsweise über­haupt nicht Ken­nt­nis erhalte. Dieses Gle­ichgewicht wäre gestört, wenn die rel­a­tive Emp­fangs­the­o­rie uneingeschränkt zur Anwen­dung käme (zum Ganzen E. 4.1).

Diese Recht­sprechung bedeute — so das Bun­des­gericht weit­er -, dass ein Mieter eine Abholein­ladung der Post nicht ein­fach ignori­eren dürfe, wenn er ferienbe­d­ingt eine eingeschriebene Sendung nicht ent­ge­gen­nehmen könne. Und dies auch dann nicht, wenn er gar keine Möglichkeit habe, innert der Abhol­frist die Sendung bei der Post in Emp­fang zu nehmen. Vielmehr müsse er sich bei der Post über den Absender informieren sowie bei diesem betr­e­f­fend den Inhalt der Sendung und eine Kopie der­sel­ben nach­fra­gen (E. 4.1).

Das Bun­des­gericht bestätigte deshalb, dass — wie bere­its die Erstin­stanz entsch­ieden hat­te — die Kündi­gung am 3. Dezem­ber 2013 bei den Mietern einge­gan­gen sei und daher das Begehren um Anfech­tung der Kündi­gung ver­spätet ein­gere­icht wurde (E. 4.2).

Die Mieter hat­ten sodann sub­sidiär gel­tend gemacht, dass die Kündi­gung vom 29. Novem­ber 2013 nichtig sei, da sie aus rein ökonomis­chen Grün­den aus­ge­sprochen wor­den sei. Auch diese Rüge wies das Bun­des­gericht ab. Es erin­nerte daran, dass im All­ge­meinen eine Kündi­gung aus wirtschaftlichen Grün­den mit dem Grund­satz von Treu und Glauben vere­in­bar sei (BGE 136 III 190, E. 2). Im Übri­gen wäre eine solche Ertrag­sop­ti­mierungskündi­gung nicht nichtig, son­dern bloss anfecht­bar. Die Anfech­tung hätte sodann inner­halb von 30 Tagen ab dem Emp­fang der Kündi­gung (3. Dezem­ber 2014) ein­gere­icht wer­den müssen (zum Ganzen E. 5).