5A_355/2016: Vereinbarkeit eines ägyptischen Erbscheins mit dem schweizerischen Ordre public (amtl. Publ.; frz.)

Im vor­liegen­den Entscheid musste sich das Bun­des­gericht zur Frage äussern, ob ein ägyp­tis­ch­er “acte d’hoirie” (sin­ngemäss ein Erb­schein) mit dem schweiz­erischen Ordre pub­lic (Art. 27 Abs. 1 IPRG) vere­in­bar ist.

Dem Entscheid lag zusam­menge­fasst der fol­gende Sachver­halt zugrunde: Ein ägyp­tis­ch­er Staats­bürg­er mus­lim­is­chen Glaubens ver­starb im März 2007 in Paris. Er hin­ter­liess wed­er Nachkom­men noch Eltern, wurde jedoch von sein­er Ehe­frau, ein­er deutsche Staats­bürg­erin christlichen Glaubens, über­lebt, welche er im Jahr 1980 nach den Recht von Ägypten und der Scharia geheiratet hat­te. Neben sein­er Ehe­frau hin­ter­liess der Erblass­er Brüder und Schwest­ern. Der Nach­lass bestand aus Immo­bilien in Frankre­ich und Ägypten sowie aus Ver­mö­genswerten bei Banken in Frankre­ich, Deutsch­land und der Schweiz.

Ein ägyp­tis­ches Gericht stellte im Mai 2007 einen sog. “acte d’hoirie” aus, in welchem der Tod des Erblassers fest­gestellt und als einzige Erben die Brüder und Schwest­ern des Ver­stor­be­nen unter Auss­chluss der Ehe­frau aufge­führt wurden.

Um über die Ver­mö­genswerte in der Schweiz ver­fü­gen zu kön­nen, ver­langten die Brüder und Schwest­ern des Ver­stor­be­nen im Jahr 2010 die Anerken­nung des ägyp­tis­chen “acte d’hoirie” beim Tri­bunal de pre­mière instance de Genève. Das erstin­stan­zliche Gericht anerkan­nte den “Erb­schein” und erk­lärte ihn als in der Schweiz voll­streck­bar. Dage­gen legte die Ehe­frau des Ver­stor­be­nen ein Rechtsmit­tel beim Cour de jus­tice de Genève ein. Der Cour de jus­tice annulierte den Entscheid des erstin­stan­zlichen Gerichts. Die Brüder und Schwest­ern legten gegen den Entscheid des Cour de jus­tice de Genève Beschw­erde in Zivil­sachen, even­tu­aliter sub­sidiäre Ver­fas­sungs­beschw­erde beim Bun­des­gericht ein.

Das Bun­des­gericht hielt vor­ab fest, dass die Qual­i­fika­tion eines aus­ländis­chen Aktes nach der lex fori vorzunehmen ist, d.h. vor­liegend nach schweiz­erischem Recht. Der stre­it­ge­gen­ständliche “acte d’hoirie” stelle ein Erb­schein dar. Das Bun­des­gericht stellte mit Bezug auf die Qual­i­fika­tion des Erb­scheins als (sin­ngemäss) vor­sor­gliche Mass­nahme klar, dass die Kog­ni­tion des Bun­des­gerichts gle­ich­wohl nicht im Sinne von Art. 98 BGG auf die Rüge der Ver­let­zung von ver­fas­sungsmäs­si­gen Recht­en beschränkt sei (E. 2.3.).

Das Bun­des­gericht führt weit­er aus, dass gemäss Art. 27 Abs. 1 IPRG ein im Aus­land ergan­gener Entscheid in der Schweiz nicht anerkan­nt werde, wenn die Anerken­nung mit dem schweiz­erischen Ordre pub­lic offen­sichtlich unvere­in­bar wäre; mit anderen Worten, wenn ein Entscheid die fun­da­men­tal­en Prinzip­i­en der schweiz­erischen Recht­sor­d­nung auf nicht tolerier­bare Weise ver­let­zt. Als Aus­nah­mebes­tim­mung müsse der materielle Ordre pub­lic restrik­tiv inter­pretiert wer­den und es sei ein genü­gen­der Bezug zum Staat des angerufe­nen Gerichts erforder­lich (E. 3.3.2.).

Gemäss dem ägyp­tis­chen “acte d’hoirie” sind die Brüder und Schwest­ern des Ver­stor­be­nen die alleini­gen Erben unter Auss­chluss der Ehe­frau. Grund­lage dieses Entschei­ds ist das ägyp­tis­che Recht, wonach zwis­chen Mus­li­men und Nicht­mus­li­men keine Erb­berech­ti­gung beste­hen kann. Das Bun­des­gericht erwog, dass das Resul­tat der Anwen­dung des ägyp­tis­chen “acte d’hoirie” klar gegen das Diskri­m­inierungsver­bot auf­grund der religiösen Anschau­ung ver­stosse (Art. 8 Abs. 2 BV, Art. 14 EMRK und Art. 26 Uno Pakt II). Das Diskri­m­inierungsver­bot sei Teil des schweiz­erischen Ordre pub­lic (E. 3.3.5.).

Mit Bezug auf das von den Beschw­erde­führern vorge­brachte Argu­ment des fehlen­den Inland­bezuges wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass es in der Dok­trin umstrit­ten sei, ob dieser Bezug auch im Falle der Diskri­m­inierung auf­grund des Geschlechts, der Rasse oder der religiösen Anschau­ung erforder­lich sei. Das Bun­des­gericht liess die Frage indes offen, weil in casu auf­grund der sich in der Schweiz befind­en­den Ver­mö­genswerte ein genü­gen­der Inland­bezug vorlag.

Das Bun­des­gericht ver­weigerte die Anerken­nung des ägyp­tis­chen “acte d’hoirie” auf­grund des Ver­stoss­es gegen den schweiz­erischen Ordre pub­lic (Art. 27 Abs. 1 IPRG i.V.m. Art. 31 IPRG). Die Beschw­erde wurde abgewiesen.