B 160/06: Informationspflichten der Vorsorgeeinrichtung

Der Beschw­erde­führerin wurde gestützt auf den Vor­sorgev­er­trag mit der Stiftung eine regle­mentskon­form bemessene Alter­srente von CHF 13’003 p.a. aus­gerichtet. Sie leit­ete aus fol­gen­den Rechts­grund­la­gen einen Anspruch auf eine höhere als die regle­men­tarische Alter­sleis­tung ab: (1) cul­pa in con­tra­hen­do zufolge Ver­let­zung der Infor­ma­tion­spflicht durch die Stiftung; (2) Anwen­dung der Ungewöhn­lichkeit­sregel bezüglich der die Höhe ihrer Alter­srente regel­nden Bes­tim­mungen des Vor­sorg­ere­gle­mentes der Stiftung; (3) “Ein­griff in die Ver­trags­frei­heit der Vor­sorgeein­rich­tung” gestützt auf die “Unbil­ligkeit­sregel”. Das BGer weist die Beschw­erde ab.

Das Argu­ment der c.i.c. fand vor BGer keine Gnade: Wed­er aus Ver­trag noch aus dem damals anwend­baren aVVG ergab sich eine über die Bekan­nt­gabe der AVB hin­aus­ge­hende vorver­tragliche Infor­ma­tions- und/oder Aufk­lärungspflicht. Auch aus ZGB 2 oder c.i.c. ergaben sich keine solchen Pflicht­en, weil die Beschw­erde­führerin nicht sub­stan­ti­ieren kon­nte, dass und mit Bezug auf welche Einzel­heit­en des Vor­sorg­ere­gle­mentes ein konkreter und zusät­zlich­er Infor­ma­tions­be­darf auf ihrer Seite bere­its im Zeit­punkt des Ver­tragsab­schlusses vorhan­den gewe­sen sei. 

Eine Infor­ma­tion­spflicht ergab sich auch nicht aus den intertem­po­ral nicht anwend­baren Bes­tim­mungen von BVG 86b I und ZGB 89bis VI Ziff. 23. Anwend­bar war lediglich OR 331 IV, woraus sich keine Infor­ma­tion­spflicht für die Vor­sorgeein­rich­tung ergibt. ATSG 27 ist sach­lich nicht anwendbar.

Auch ZGB 2 kam als Anspruchs­grund­lage nicht in Frage. Eine Mitteilungs‑, Auskun­fts- und Infor­ma­tion­spflicht während laufen­d­em Ver­tragsver­hält­nis als Teil der all­ge­meinen ver­traglichen Loy­al­ität­spflicht würde voraus­set­zen, dass der aufk­lärungspflichtige Ver­tragspart­ner den Infor­ma­tions- oder Aufk­lärungs­be­darf der Gegen­partei erken­nen und die Aufklärung/Information ohne Weit­eres geben kann. Die tat­säch­lichen Grund­la­gen ein­er solchen Pflicht hat­te die Beschw­erde­führerin nicht substantiiert.

Strit­tig war auch die behauptete Ungewöhn­lichkeit des Vor­sorg­ere­gle­ments der Stiftung. Das BGer:

Die in Ziff. 5.1 des Vor­sorg­ere­gle­mentes der Beschw­erdegeg­ner­in 1 enthal­tene Regelung, wonach sich die Alter­srente nach den vom Ver­sicherten ange­häuften und verzin­sten Altersguthaben richtet, während die bis zum Erre­ichen der Alter­srente aus­gerichtete Invali­den­rente priv­i­legiert und unab­hängig von den Vor­sorgelück­en des Ver­sicherten mit 30% des ver­sicherten Jahres­lohnes bemessen wird (Ziff. 5.1 Abs. 2 und 4 des Vor­sorg­ere­gle­mentes), ist keineswegsgeschäftsfremd.”

Zulet­zt forderte die Beschw­erde­führerin unter dem Titel der sog. “Unbil­ligkeit­sregel” eine Kor­rek­tur der in ihrem Fall “krasse(n) Diskrepanz” zwis­chen der Höhe der Invali­den- und Alter­sleis­tun­gen. Es liege eine grosse Härte vor, weshalb sich ein Ein­griff in die Ver­trags­frei­heit bzw. ein “punk­tuelle® Eingriff(e)” in das Sys­tem der beru­flichen Vor­sorge aus Bil­ligkeits­grün­den auf­dränge. Das BGer schliesst sich dem nicht an: 

Eine solche offene Inhalt­skon­trolle von Verträ­gen ken­nt das schweiz­erische Recht — abge­se­hen von der in Art. 8 UWG vorge­se­henen, aber lediglich die Ver­wen­dung von miss­bräuch­lichen All­ge­meinen Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB) betr­e­f­fend­en und hier zweifel­los nicht gegebe­nen Aus­nahme — nicht. Das Bun­des­gericht hat bish­er den von der herrschen­den Lehre geforderten, dog­ma­tisch auf all­ge­meine Rechts­grund­sätze wie Art. 19 Abs. 2 OR, Art. 2 Abs. 2 oder Art. 27 ZGB abgestützten Ein­griff in die Ver­trags­frei­heit, mit welchem die auf vor­for­mulierten AGB beruhen­den Verträge ein­er richter­lichen Inhalt­skon­trolle unter­wor­fen wer­den sollen, abgelehnt.”

Abge­se­hen davon würde die richter­liche Inhalt­skon­trolle hier den Kern­bere­ich der Pri­vatau­tonomie, näm­lich das Äquiv­alenz- und Angemessen­heitsver­hält­nis zwis­chen den Hauptleis­tun­gen — Beiträge der Beschw­erde­führerin ein­er­seits und die diesen gegenüber­ste­hen­den Alter­sleis­tun­gen ander­seits — eines Vor­sorgev­er­trages betr­e­f­fen, welch­er der richter­lichen Inhalt­skon­trolle selb­st im europäis­chen Recht nach Mass­gabe von Art. 4 EG-AGB-RL ent­zo­gen ist (…).”