I 246/05: Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen im Erwerb und im Haushalt (amtl. Publ.)

Die Beschw­erde­führerin gelangte ans BGer gegen die Abweisung eines Rente­nanspruchs. Sie litt unter ein­er Miss­bil­dung der vorderen Augen­ab­schnitte (Aniri­die). Nach der Geburt eines Kindes nahm die Beanspruchung im Haushalt zu, so dass sich die Ein­schränkun­gen im Haushalt ver­mehrt auswirk­ten. Strit­tig war deshalb die von der Rsp. bish­er offen­ge­lassene Frage der Wech­sel­wirkung zwis­chen der… 

Aus­las­tung im einen Bere­ich zu ein­er — noch nicht im Rah­men der Arzt- und Abklärungs­berichte berück­sichtigten — Beein­träch­ti­gung des Leis­tungsver­mö­gens (hier: Erwerb) in der anderen Beschäf­ti­gung (hier: Haushalt) führt und ob diese Ver­min­derung im Sinne ein­er invali­den­ver­sicherungsrechtlich mass­ge­blichen Wech­sel­wirkung abzugel­ten ist.”

Die vere­inigten sozial­rechtlichen Abteilun­gen habe — im vor­liegend zu beurteilen­den Fall — die Grund­sätze zur Beachtlichkeit von Wech­sel­wirkun­gen zwis­chen Erwerbs- und Auf­gaben­bere­ich (im Sinne des Art. 27 IVV [in der seit 1. Jan­u­ar 2004 gel­tenden Fas­sung]) wie fol­gt präzisiert (E. 7.3):

7.3.1 Bei der Prü­fung der Frage, ob die in den bei­den Tätigkeits­bere­ichen vorhan­de­nen Belas­tun­gen einan­der wech­sel­seit­ig bee­in­flussen (kön­nen), ist namentlich deren unter­schiedlichen Gegeben­heit­en Rech­nung zu tra­gen. Die ver­sicherte Per­son ist im Rah­men ihrer Schaden­min­derungspflicht gehal­ten, im Umfang ihrer noch vorhan­de­nen Leis­tungs­fähigkeit eine dem Lei­den angepasste erwerbliche Tätigkeit auszuüben (vgl. Art. 28 Abs. 2ter IVG [einge­fügt auf 1. Jan­u­ar 2004] in Verbindung mit Art. 16 ATSG; BGE 130 V 97 E. 3.2 [mit Hin­weisen] S. 99), d.h. es ist ihr zumut­bar, eine Beschäf­ti­gung zu wählen, bei der sich die gesund­heitliche Beschränkung min­i­mal auswirkt. Die erwerbliche Tätigkeit muss jedoch, entsprechend ihren jew­eili­gen Anforderun­gen, grund­sät­zlich allein aus­ge­führt wer­den. Bezo­gen auf die häus­lichen Ver­rich­tun­gen ist eine Wahl des Tätigkeits­ge­bi­etes demge­genüber nur beschränkt möglich, da die mit der Haushalts­führung ein­herge­hen­den Auf­gaben als solche anfall­en und erledigt wer­den müssen. Es beste­ht in diesem Bere­ich dafür eine grössere Frei­heit in der zeitlichen Gestal­tung der Arbeit und es ist den Fam­i­lien­ange­höri­gen eine gewisse Mith­il­fe zuzu­muten (vgl. E. 7.2 hievor), wom­it allen­falls vorhan­dene Ein­schränkun­gen abgefed­ert wer­den kön­nen. Schliesslich erscheint die Möglichkeit ein­er gegen­seit­i­gen Bee­in­flus­sung geringer, je kom­ple­men­tär­er die Anforderung­spro­file der Tätigkeits­ge­bi­ete aus­gestal­tet sind (beispiel­sweise Haushalt eher kör­per­lich belas­tend, Erwerb­stätigkeit eher intellek­tuell). Damit die sich durch die schlechte Vere­in­barkeit der bei­den Tätigkeits­bere­iche ergebende neg­a­tive gesund­heitliche Auswirkung berück­sichtigt wer­den kann, muss sie fol­glich offenkundig und unver­mei­d­bar sein (beispiel­sweise kör­per­lich anstren­gende Berufs- und Haushalt­sar­beit oder psy­chisch belas­tende beru­fliche und famil­iäre Sit­u­a­tion [kranker Part­ner, behin­dertes Kind etc.]). Von ein­er ver­mei­d­baren Wech­sel­wirkung ist demge­genüber nach dem Gesagten auszuge­hen, wenn sie durch die — auf Grund der gesamten Umstände zumut­bare — Wahl ein­er anderen Erwerb­stätigkeit aus­geschlossen wer­den kann. 

7.3.2 Wech­sel­wirkun­gen sind nur dann zusät­zlich zu berück­sichti­gen, wenn aus den Akten erhellt, dass die Arzt- und (Haushalts-)Abklärungsberichte nicht bere­its in Ken­nt­nis der im jew­eils anderen Auf­gaben­bere­ich vorhan­de­nen Belas­tungssi­t­u­a­tion erstellt wor­den sind, und konkrete Anhalt­spunk­te beste­hen, dass eine wech­sel­seit­ige Ver­min­derung der Leis­tungs­fähigkeit im Sinne des in E. 7.3.1 hievor Gesagten vor­liegt, die in den vorhan­de­nen Bericht­en nicht hin­re­ichend gewürdigt wor­den ist.

7.3.3 Im hier mass­ge­blichen Kon­text beachtliche gesund­heitliche Auswirkun­gen vom Erwerbs- in den Haushalts­bere­ich kön­nen nur angenom­men wer­den, wenn die verbleibende Arbeits­fähigkeit im erwerblichen Tätigkeits­ge­bi­et voll aus­genützt wird, d.h. der — für den Gesund­heits­fall gel­tende — Erwerb­san­teil die Arbeits­fähigkeit im Erwerb­s­bere­ich über­steigt oder mit dieser iden­tisch ist.

7.3.4 Ein allfäl­liges reduziertes Leis­tungsver­mö­gen im erwerblichen Bere­ich infolge der Beanspruchung im Haushalt kann fern­er lediglich für den Fall berück­sichtigt wer­den, dass Betreu­ungspflicht­en (gegenüber Kindern, pflegebedürfti­gen Ange­höri­gen etc.) vorhan­den sind. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass die Reduk­tion des zumut­baren erwerblichen Arbeit­spen­sums, ohne dass die dadurch frei wer­dende Zeit für die Tätigkeit in einem Auf­gaben­bere­ich nach Art. 27 IVV (in der seit 1. Jan­u­ar 2004 in Kraft ste­hen­den Fas­sung) ver­wen­det wird, für die Meth­ode der Inva­lid­itäts­be­mes­sung, d.h. für die Sta­tus­frage, ohne Bedeu­tung ist. Wäre eine ver­sicherte Per­son gesund­heitlich in der Lage, voll erwerb­stätig zu sein, ver­min­dert sie aber das Arbeit­spen­sum aus freien Stück­en, ins­beson­dere um mehr Freizeit (für Hob­bys etc.) zu haben, hat dafür nicht die Invali­den­ver­sicherung einzuste­hen. Allein ste­hende Per­so­n­en wer­den bei ein­er frei­willi­gen Her­ab­set­zung des Beschäf­ti­gungs­grades nicht gle­ich­sam automa­tisch zu Teil­er­werb­stäti­gen mit einem Auf­gaben­bere­ich Haushalt neben der Beruf­sausübung (BGE 131 V 51 E. 5.1.2 und 5.2 [je mit Hin­weisen] S. 53 f.). Ist dem­nach eine Haushalt­führung ohne weit­erge­hende häus­liche Obliegen­heit­en wie etreu­ungsauf­gaben etc. nicht in jedem Fall sta­tus­rel­e­vant, kann auch nicht von ein­er dadurch verur­sacht­en,
IV-rechtlich abzugel­tenden erhe­blichen Belas­tung im erwerblichen Bere­ich aus­ge­gan­gen werden.

7.3.5 Allfäl­lige Wech­sel­wirkun­gen sind stets vom anteilsmäs­sig bedeu­ten­deren zum weniger bedeu­ten­deren Bere­ich zu berück­sichti­gen. Sind bei­de Bere­iche mit 50 % zu ver­an­schla­gen, ist sie dort beachtlich, wo sie sich stärk­er auswirkt. Nicht möglich im hier zu beurteilen­den Zusam­men­hang ist demge­genüber, dass Wech­sel­wirkun­gen kumu­la­tiv in bei­de Rich­tun­gen ihren Nieder­schlag im Sinne ein­er ver­min­derten Leis­tungs­fähigkeit im je anderen Tätigkeits­bere­ich find­en, führte dies doch zu ein­er dop­pel­ten Gewichtung.

7.3.6 Das in der Erwerb­sar­beit oder im häus­lichen Auf­gaben­bere­ich infolge der Beanspruchung im jew­eils anderen Tätigkeits­feld reduzierte Leis­tungsver­mö­gen kann sodann nur berück­sichtigt wer­den, wenn es offenkundig ist und ein gewiss­es nor­males Mass über­schre­it­et. Dessen Ermit­tlung hat stets auf Grund der konkreten Gegeben­heit­en im Einzelfall zu erfol­gen. In Anlehnung an den so genan­nten lei­dens­be­d­ingten Abzug vom sta­tis­tis­chen Lohn bei der Bemes­sung des Invali­deneinkom­mens von nach Ein­tritt des Gesund­heitss­chadens keine Erwerb­stätigkeit mehr ausüben­den Ver­sicherten (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 [mit
Hin­weisen] S. 475), welch­er unter Berück­sich­ti­gung aller jew­eils in Betra­cht fal­l­en­den Merk­male auf ins­ge­samt höch­stens 25 % begren­zt ist (BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80; Urteil des Eid­genös­sis­chen Ver­sicherungs­gerichts I 82/01 vom 27. Novem­ber 2001, E. 4b/cc, publ. in: AHI 2002 S. 62), erscheint vor­liegend eine Lim­i­tierung der als erhe­blich anzuse­hen­den Wech­sel­wirkun­gen eben­falls sachgerecht. Da inva­lid­itäts­fremde Aspek­te, anders als beim erwäh­n­ten Lei­dens­abzug, keine Rolle spie­len, recht­fer­tigt sich jedoch ein niedriger­er, auf 15 ungewichtete Prozent­punk­te fest­ge­set­zter Maximalansatz.

7.3.7 Eine Rück­weisung an die Ver­wal­tung zur näheren Abklärung ist schliesslich nur für den Fall angezeigt, dass das Endergeb­nis selb­st bei Annahme ein­er entsprechend ver­ringerten Leis­tungs­fähigkeit im einen Tätigkeits­ge­bi­et durch die Beanspruchung im anderen über­haupt bee­in­flusst würde.”