6B_114/2008: Zäsur bei Dauerdelikten (amtl. Publ.)

In einem unlängst veröf­fentlicht­en und zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid (6B_114/2008 vom 4. Novem­ber 2008) äusserte sich das Bun­des­gericht zur Zäsur­wirkung bei Dauerdelikten.

Grund­sät­zlich ist davon auszuge­hen, dass die Verurteilung wegen eines Dauerde­lik­ts dessen Zäsur bewirkt; mithin ist das Aufrechter­hal­ten des Dauerzu­s­tands nach dem Urteil als selb­ständi­ge Tat zu werten. Dabei wird die Tatein­heit durch die Verurteilung aufge­hoben, wobei für neue Delik­te der Grund­satz “ne bis in idem” nicht gilt. In diesen Fällen sei daher eine neue Verurteilung für die vom ersten Urteil nicht erfassten Tathand­lun­gen möglich.

Das Bun­des­gericht entsch­ied im erwäh­n­ten Entscheid, dass eine neuer­liche und unab­hängige Verurteilung wegen eines Dauerde­lik­ts erfordert, dass der Täter nach dem früheren Schuld­spruch einen vom früheren los­gelösten, neuen Tatentschluss fasst. Fehlt es an einem solchen, beruht also die andauernde Ver­wirk­lichung des Dauer­tatbe­standes auf einem fortwirk­enden, ein­heitlichen Tatentschluss, muss im neuen Urteil bei der Zumes­sung der Strafe für die noch nicht beurteilte Delik­ts­dauer mit Blick auf das Schuld­prinzip beachtet wer­den, dass die Summe der wegen des Dauerde­lik­ts aus­ge­sproch­enen Strafen dem Gesamtver­schulden angemessen ist (Art. 47 Abs. 1 StGB) und die im entsprechen­den Tatbe­stand ange­dro­hte Höch­st­strafe nicht über­schre­it­en wird.

Mit Blick auf das Schuld­prinzip sei — so das Bun­des­gericht — im Rah­men von Dauerde­lik­ten zu beacht­en, dass, die Strafver­fol­gungs­be­hör­den durch die Eröff­nung eines erneuten Strafver­fahrens unter Ver­weis auf die Zäsur­wirkung jew­eils selb­st die Voraus­set­zung für die Verurteilung wegen ein­er ver­meintlich neuen Tat schaf­fen würden.

In einem solchen Fall bilde let­ztlich nicht die indi­vidu­elle Schuld des Täters Anlass der Bestra­fung und Grund­lage der Strafzumes­sung, son­dern die von Zufäl­ligkeit­en abhängige Geschwindigkeit der Strafver­fol­gung, die zur Kon­struk­tion von Zäsur­wirkun­gen führt.

Die Prob­lematik man­i­festiert sich im Beson­deren bei der Kon­stel­la­tion, in welch­er die infolge der Zäsur­wirkung in ver­schiede­nen Strafver­fahren aus­ge­sproch­enen Strafen die im fraglichen Tatbe­stand ange­dro­hte Höch­st­strafe in ihrer Gesamtheit über­schre­it­en. In diesem Fall wird das Schuld­prinzip, auf welchem das Strafrecht fusst, unter­laufen und kommt der erneuten Bestra­fung zunehmend eine Beugewirkung zur Erzwingung der unter­lasse­nen Hand­lung zu.

Nach der vom Bun­des­gericht getrof­fe­nen Lösung ist für die vor­liegende Prob­lematik die Frage des Tatentschlusses mass­ge­blich. Eine neuer­liche Verurteilung wegen eines Dauerde­lik­ts und eine Zumes­sung der Strafe ohne Rück­sicht auf die bere­its in einem früheren Stra­furteil erfasste Dauer der Tatbe­standsver­wirk­lichung erfordert damit, dass der Täter nach dem früheren Schuld­spruch einen vom früheren los­gelösten, neuen Tatentschluss gefasst hat­te. Fehlt es demge­genüber an einem neuen Tatentschluss, muss der Richter im neuen Urteil bei der Zumes­sung der Strafe für die noch nicht beurteilte Delik­ts­dauer mit Blick auf das Schuld­prinzip darauf acht­en, dass die Summe der wegen des Dauerde­lik­ts aus­ge­sproch­enen Strafen dem Gesamtver­schulden angemessen ist (Art. 47 Abs. 1 StGB) und die im fraglichen Tatbe­stand ange­dro­hte Höch­st­strafe nicht überschreitet.