6B_183/2009: Ausstandsgrund, Aussageverweigerungsrecht; Urkundenfälschung

Der wegen mehrfach­er Urkun­den­fälschung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB schuldig gesproch­ene Beschw­erde­führer drang mit seinem Antrag, ihn wegen Nichtigkeit des Urteils freizus­prechen, vor dem Bun­des­gericht (Urteil vom 14. Juli 2009 – 6B_183/2009) nicht durch. Die Vorin­stanz habe wed­er einen Aus­stands­grund noch ein Aus­sagev­er­weigerungsrecht verkannt.

Der Beschw­erde­führer brachte vor, in der Anklage sei ihm vorge­wor­fen wor­den, einen Prozess­be­trug began­gen zu haben, indem er in einem vorgängi­gen Recht­söff­nungsver­fahren falsche Behaup­tun­gen mit ein­er gefälscht­en Urkunde belegt habe. Als Präsi­dent der ersten Instanz sei A aufge­treten, der bere­its im Recht­söff­nungsver­fahren ver­fahrenslei­t­ende Schrift­stücke unterze­ich­net habe. Eine solche Per­son­alu­nion zwis­chen (ange­blichem) Täuschung­sopfer und urteilen­dem Strafrichter „gehe nicht an“. Entschei­dend sei, dass A in das Recht­söff­nungsver­fahren involviert gewe­sen sei, auch wenn er nicht per­sön­lich entsch­ieden habe. Daher liege ein Aus­stands­grund vor, genüge doch insoweit der Anschein der Befangenheit.

Das Bun­des­gericht hat diese Begrün­dung verworfen:

2.3.1 […] Eine gewisse Besorg­nis der Vor­ein­genom­men­heit und damit Mis­strauen in das Gericht kön­nen bei den Parteien entste­hen, wenn einzelne Gerichtsper­so­n­en in einem früheren Ver­fahren mit der konkreten Stre­it­sache schon ein­mal befasst waren. In einem solchen Fall so genan­nter Vor­be­fas­sung stellt sich die Frage, ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entschei­dun­gen in einzel­nen Punk­ten bere­its in einem Mass fest­gelegt hat, das ihn nicht mehr als unvor­ein­genom­men und dementsprechend das Ver­fahren als nicht mehr offen erscheinen lässt […]. Ob eine unzuläs­sige, den Ver­fahren­saus­gang vor­weg­nehmende Vor­be­fas­sung ein­er Rich­terin oder eines Richters vor­liegt, kann nicht generell gesagt wer­den. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall – anhand aller tat­säch­lichen und ver­fahren­srechtlichen Umstände – zu unter­suchen, ob die konkret zu entschei­dende Rechts­frage trotz Vor­be­fas­sung als noch offen erscheint […].

2.4 Der Präsi­dent des Bezirks­gericht­sauss­chuss­es Landquart, […] welch­er das erstin­stan­zliche Urteil gefällt hat, hat im den Beschw­erde­führer betr­e­f­fend­en Recht­söff­nungsver­fahren nicht formell entsch­ieden, son­dern einzig ver­fahrenslei­t­ende Schrift­stücke (ins­beson­dere Vor­ladun­gen zu Ver­hand­lun­gen) unterze­ich­net. Die bei­den Ver­fahren wur­den mithin von zwei unter­schiedlichen Richtern abgeurteilt. Es liegt damit keine unzuläs­sige Vor­be­fas­sung im ver­fas­sungsrechtlichen Sinn respek­tive keine Mitwirkung gemäss Art. 42 lit. e GOG/GR vor. Selb­st wenn jedoch von ein­er Mitwirkung von A im Recht­söff­nungsver­fahren aus­ge­gan­gen würde, stellte die Ver­fahrensleitung in einem späteren Strafver­fahren auf­grund des unter­schiedlichen Ver­fahrens­ge­gen­stands keine unzuläs­sige Verbindung und damit keinen Aus­stands­grund dar […].“

Ausser­dem hat der Beschw­erde­führer gel­tend gemacht, dass er bei der Befra­gung durch die Kan­ton­spolizei und bei den ins­ge­samt fünf Ein­ver­nah­men durch das Unter­suchungsrichter­amt nicht auf sein Schweigerecht hingewiesen wor­den sei. Die Belehrung über das Aus­sagev­er­weigerungsrecht aber sei Gültigkeitsvorschrift, weshalb sämtliche Ein­ver­nah­men nicht ver­w­ert­bar seien. Dass er bei den let­zten vier Ein­ver­nah­men anwaltlich begleit­et gewe­sen sei, ändere daran nichts, denn die blosse Präsenz eines Anwalts könne nicht dazu führen, dass formelle Ver­säum­nisse der Strafver­fol­gungs­be­hör­den geheilt wür­den. Ein Anwalt habe wed­er das Recht noch die Pflicht zur Inter­ven­tion während ein­er Ein­ver­nahme. Die Ver­w­er­tung eines Befra­gung­spro­tokolls ohne Rechts­belehrung sei einzig aus­nahm­sweise denkbar, wenn im konkreten Fall hin­re­ichend erwiesen sei, dass die beschuldigte Per­son von ihrem Schweigerecht Ken­nt­nis hat­te. Die blosse Teil­nahme eines Anwalts an der Ein­ver­nahme erbringe diesen Beweis nicht.

Auch in diesem Punkt fol­gte das Gericht nicht dem Beschw­erde­führer und sah das in Art. 31 Abs. 2 BV sta­tu­ierte Aus­sagev­er­weigerungsrecht nicht verletzt:

3.3. […] Auf­grund des formell­rechtlichen Charak­ters dieser Ver­fahrens­garantie sind Aus­sagen, die in Unken­nt­nis des Schweigerechts gemacht wur­den, grund­sät­zlich nicht ver­w­ert­bar. In Abwä­gung der ent­ge­gen­ste­hen­den Inter­essen kön­nen indes trotz unter­lassen­er Unter­rich­tung über das Aus­sagev­er­weigerungsrecht die Ein­ver­nah­men aus­nahm­sweise ver­w­ertet wer­den, wenn hin­re­ichend erwiesen ist, dass die festgenommene Per­son ihr Schweigerecht gekan­nt hat. Davon ist nach der Recht­sprechung etwa auszuge­hen, wenn die beschuldigte Per­son in Anwe­sen­heit ihrer Anwältin bzw. ihres Anwalts ange­hört wor­den ist […]. 

3.4. […] Art. 31 Abs. 2 BV […] erken­nt den Anspruch, über ihre Rechte unter­richtet zu wer­den, nur der­jeni­gen Per­son zu, welch­er die Frei­heit ent­zo­gen wor­den ist. Der Beschw­erde­führer befand sich zum Zeit­punkt der Ein­ver­nah­men unbe­strit­ten­er­massen wed­er in Haft noch in ein­er ver­gle­ich­baren Druck­si­t­u­a­tion. Art. 31 Abs. 2 BV find­et daher gemäss der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung keine Anwen­dung […].[…] Im Übri­gen wären, wie die Vorin­stanz zu Recht aus­führt, die Aus­sagen des Beschw­erde­führers trotz unter­lassen­er Belehrung ohne­hin auch deshalb ver­w­ert­bar, weil er in Anwe­sen­heit seines Vertei­di­gers ein­ver­nom­men wor­den ist, so dass davon auszuge­hen ist, dass er sein Aus­sagev­er­weigerungsrecht gekan­nt hat […].“