6B_417/2009: Anspruch auf unabhängigen Richter; Ausstand

Mit Urteil vom 24. Sep­tem­ber 2009 (6B_417/2009) hat das Bun­des­gericht eine Beschw­erde gut­ge­heis­sen, mit der die Ver­let­zung des Anspruchs auf einen unab­hängi­gen Richter gel­tend gemacht wor­den war. Es hob das ange­focht­ene Urteil des Oberg­erichts ZG auf und wies die Sache zur Neuentschei­dung an die Vorin­stanz zurück.

Den zugrunde liegen­den Sachver­halt stellt das Bun­des­gericht wie fol­gt dar:

1.1 Das Strafgericht des Kan­tons Zug beschloss am 28. Mai 2008, dass auf das Aus­stands­begehren des Beschw­erde­führers gegen die Rich­terin A. zufolge Ver­spä­tung nicht einzutreten sei. Dieser Beschluss wurde zu Beginn der strafgerichtlichen Hauptver­hand­lung am 29. Mai 2008 schriftlich eröffnet und kurz mündlich begrün­det. Der Beschluss wurde am 10. Juni 2008 in schriftlich begrün­de­ter Aus­fer­ti­gung ver­sandt. Gegen den Beschluss erhob der Beschw­erde­führer gestützt auf § 80 Ziff. 10 […] StPO/ZG […] in der seit 1. Jan­u­ar 2008 gel­tenden Fas­sung bere­its mit Eingabe vom 6. Juni 2008 Beschw­erde bei der Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts des Kan­tons Zug. Diese wies die Beschw­erde mit Entscheid vom 22. Sep­tem­ber 2008 ab. Dage­gen erhob der Beschw­erde­führer mit Eingabe vom 23. Okto­ber 2008 Beschw­erde in Straf­sachen an das Bun­des­gericht. Die Strafrechtliche Abteilung des Bun­des­gerichts hiess mit Urteil vom 21. März 2009 die Beschw­erde gut, hob den Entscheid der Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts auf und wies die Sache zur neuen Entschei­dung an die Vorin­stanz zurück. Das Bun­des­gericht erwog, die Jus­tizkom­mis­sion habe im ange­focht­e­nen Entscheid das Aus­stands­begehren des Beschw­erde­führers gegen die Rich­terin A., die am erstin­stan­zlichen Urteil mit­gewirkt hat­te, zu Unrecht abgewiesen. Das Urteil des Bun­des­gerichts wurde am 8. April 2009 versandt.

Gle­ich­sam par­al­lel zu diesem Ver­fahren betr­e­f­fend das Aus­stands­begehren gegen die Rich­terin A. lief das Strafver­fahren. Der Beschw­erde­führer wurde durch Urteil des Strafgerichts des Kan­tons Zug vom 29. Mai 2008 in eini­gen Anklagepunk­ten schuldig gesprochen. Gegen dieses Urteil erhob er mit Eingabe vom 22. Sep­tem­ber 2008 Beru­fung an die Strafrechtliche Abteilung des Oberg­erichts des Kan­tons Zug. Am 10. Okto­ber 2008 reichte er eine Antwort zur Beru­fung der Staat­san­waltschaft ein, welche an Stelle ein­er ambu­lanten Mass­nahme eine sta­tionäre ther­a­peutis­che Mass­nahme gemäss Art. 59 Abs. 3 StGB beantragt hat­te. Am 24. März 2009 fand die Beru­fungsver­hand­lung statt. Gle­ichen­tags fällte die Strafrechtliche Abteilung des Oberg­erichts ihr Urteil in der Strafsache.

Nach Ansicht des Bun­des­gericht ist das Urteil auf­grund der Tat­sache, dass die Beru­fungsin­stanz die Straf­sache ohne Rück­sicht auf den Aus­gang jenes Ver­fahrens beurteilt und somit eine allfäl­lige Befan­gen­heit ein­er am erstin­stan­zlichen Urteil mitwirk­enden Rich­terin zufolge Vor­be­fas­sung auss­er Acht gelassen hat, ungültig:

2.1 Das Ver­fahren betr­e­f­fend das Aus­stands­begehren des Beschw­erde­führers gegen die am erstin­stan­zlichen Urteil mitwirk­ende Rich­terin A. ein­er­seits und das Ver­fahren in der Straf­sache gegen den Beschw­erde­führer ander­er­seits wur­den nebeneinan­der durchge­führt. Die Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts des Kan­tons Zug ist auf die Beschw­erde gegen den Beschluss des Strafgerichts betr­e­f­fend das Aus­stands­begehren einge­treten, und sie hat die Beschw­erde abgewiesen. Die Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts hat mithin den Beschw­erde­führer nicht darauf ver­wiesen, dass er den Beschluss des Strafgerichts betr­e­f­fend das Aus­stands­begehren mit Beru­fung gegen das Stra­furteil des Strafgerichts anzufecht­en habe beziehungsweise die ange­blich fehler­hafte Zusam­menset­zung des Strafgerichts mit der Beru­fung rügen müsse. […] Die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, dass der Beschw­erde­führer die ange­blich nicht ord­nungs­gemässe Zusam­menset­zung des Strafgerichts (auch) mit der Beru­fung gegen das Urteil des Strafgerichts hätte rügen müssen, ist bei der gebote­nen Anwen­dung der neuen, seit 1. Jan­u­ar 2008 in Kraft ste­hen­den Bes­tim­mungen der Straf­prozes­sor­d­nung des Kan­tons Zug in ein­er Kon­stel­la­tion der vor­liegen­den Art, in welch­er das Strafgericht in einem selb­ständi­gen, mit Beschw­erde an die Jus­tizkom­mis­sion anfecht­baren Beschluss über das Aus­stands­begehren entsch­ieden hat, willkür­lich. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb neben der nun­mehr möglichen Beschw­erde an die Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts gemäss § 80 Ziff. 10 StPO/ZG, welche vom Beschw­erde­führer erhoben und von der Jus­tizkom­mis­sion beurteilt wurde, auch noch die Beru­fung an die Strafrechtliche Abteilung des Oberg­erichts erhoben wer­den muss, um gel­tend zu machen, dass ein Ablehnungs- beziehungsweise Aus­stand­sentscheid des Strafgerichts unrichtig sei.

2.2 Die Vorin­stanz kon­nte allerd­ings das Beru­fungsver­fahren in der Straf­sache gegen den Beschw­erde­führer nur sistieren, wenn sie über­haupt Ken­nt­nis davon hat­te, dass ein Ver­fahren betr­e­f­fend den Aus­stand ein­er Rich­terin, die am Gegen­stand der Beru­fung bilden­den erstin­stan­zlichen Urteil des Strafgerichts mit­gewirkt hat­te, bei den zuständi­gen Behör­den hängig war. Daraus fol­gt aber nicht, dass die nicht ord­nungs­gemässe Beset­zung des Strafgerichts in einem Fall der hier vor­liegen­den Art (auch) in der Beru­fung zu rügen ist. Der Beru­fungsin­stanz ist lediglich zur Ken­nt­nis zu brin­gen, dass noch ein Ver­fahren betr­e­f­fend Aus­stand hängig ist.

Nach den Fest­stel­lun­gen im ange­focht­e­nen Entscheid wies der Beschw­erde­führer die Vorin­stanz erst­mals an der Beru­fungsver­hand­lung (vom 24. März 2009) darauf hin, dass gegen den Entscheid der Jus­tizkom­mis­sion eine Beschw­erde in Straf­sachen beim Bun­des­gericht wegen Ver­let­zung seines Anspruchs auf einen unab­hängi­gen Richter hängig sei (ange­focht­enes Urteil S. 8 E. 3.1 und E. 3.2). Die Vorin­stanz hat­te somit im Zeit­punkt der Aus­fäl­lung ihres Beru­fung­surteils vom 24. März 2009 auf­grund der Mit­teilung des Beschw­erde­führers Ken­nt­nis davon, dass beim Bun­des­gericht ein Ver­fahren betr­e­f­fend den Aus­stand ein­er Rich­terin, die am Gegen­stand der Beru­fung bilden­den Urteil des Strafgerichts mit­gewirkt hat­te, hängig war. Unter diesen Umstän­den hätte die Vorin­stanz das Beru­fungsver­fahren bis zum Aus­gang des bun­des­gerichtlichen Ver­fahrens sistieren müssen. Denn sollte das Bun­des­gericht – wie es mit Urteil vom 31. März 2009 dann tat­säch­lich entsch­ieden hat – zur Erken­nt­nis gelan­gen, dass gegen die Rich­terin, die am erstin­stan­zlichen Urteil mit­gewirkt hat­te, ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Jus­tizkom­mis­sion ein vom Beschw­erde­führer rechtzeit­ig gel­tend gemachter Aus­stands­grund der Vor­be­fas­sung im Sinne von § 41 Abs. 1 Ziff. 5 […] GOG/ZG […] bestand, wäre das Urteil des Strafgerichts gemäss § 47 Abs. 1 GOG/ZG ungültig gewor­den, was bedeutet hätte, dass für das Beru­fungsver­fahren keine Grund­lage mehr bestanden hätte. Gemäss § 47 Abs. 1 GOG/ZG sind alle Ver­fahren, Ver­fü­gun­gen und Entschei­de, an denen ein zum Aus­stand verpflichteter oder durch richter­lichen Entscheid abgelehn­ter Richter oder gerichtlich­er Beamter mit­gewirkt hat, ungültig.

3. Das Bun­des­gericht hat in seinem Urteil vom 31. März 2009 erkan­nt, dass die Rich­terin A. – und zwar nach § 41 Abs. 1 Ziff. 5 GOG/ZG wegen Vor­be­fas­sung von sich aus – hätte in den Aus­stand treten müssen, dass das Aus­stands­begehren des Beschw­erde­führers gegen die Rich­terin nicht ver­spätet gewe­sen sei und dass die Jus­tizkom­mis­sion des Oberg­erichts das Aus­stands­begehren zu Unrecht abgewiesen hat (Urteil 6B_882/2008 vom 31. März 2009 E. 1). Dies bedeutet, dass das Urteil des Strafgerichts des Kan­tons Zug vom 29. Mai 2008 zufolge Mitwirkung ein­er nach § 41 Abs. 1 Ziff. 5 GOG/ZG wegen Vor­be­fas­sung zum Aus­stand verpflichteten Rich­terin gemäss § 47 GOG/ZG ungültig ist und daher in der Straf­sache des Beschw­erde­führers die erste Instanz in ein­er neuen Zusam­menset­zung, ohne die Rich­terin A., erneut zu entschei­den hat. Dem­nach ist das hier ange­focht­ene Beru­fung­surteil, welch­es richtiger­weise gar nicht ergan­gen wäre, wenn die Vorin­stanz, wie es geboten gewe­sen wäre, das Beru­fungsver­fahren bis zum Entscheid des Bun­des­gerichts zur Frage des Aus­stands sistiert hätte, in Gutheis­sung der Beschw­erde aufzuheben.