6B_176/2009: Veruntreuung; Vorsatz, Subsumtions- und Sachverhaltsirrtum

Mit Urteil vom 8. Okto­ber 2009 (6B_176/2009) hiess das Bun­des­gericht eine Beschw­erde der Ober­staat­san­waltschaft des Kan­tons ZH gut. Diese richtete sich gegen eine Entschei­dung des Oberg­erichts des Kan­tons ZH, das den Beschw­erdegeg­n­er vom Vor­wurf der mehrfachen Verun­treu­ung nach Art. 138 StGB freige­sprochen hat­te mit der Begrün­dung, dass er keinen (Eventual-)Vorsatz im Hin­blick auf das Tatbe­standsmerk­mal „Anver­traut­seins“ innehat­te und einem Sachver­halt­sir­rtum erlegen sei.

Das Bun­des­gericht erteilte dieser Argu­men­ta­tion eine Absage und sah das kog­ni­tive Ele­ment des Vor­satzes als gegeben an:

4.2 Das Wis­sense­le­ment des Vor­satzes in Bezug auf ein bes­timmtes Tatbe­standsmerk­mal ist nicht schon gegeben, wenn der Täter die Tat­sachen ken­nt, bei deren Vor­liegen bei zutr­e­f­fend­er rechtlich­er Würdi­gung das Tatbe­standsmerk­mal erfüllt ist. Vielmehr ist zudem erforder­lich, dass der Täter das Tatbe­standsmerk­mal so ver­standen hat, wie es der landläu­fi­gen Anschau­ung eines Laien entspricht. Das ist in Bezug auf das Tatbe­standsmerk­mal des Anver­trauens der Fall, wenn der Täter etwa weiss, dass der andere ihm den Ver­mö­genswert zu einem bes­timmten Zweck übergeben hat und er daher über den Ver­mö­genswert nicht frei ver­fü­gen darf. Der Vor­satz in Bezug auf das Tatbe­standsmerk­mal des Anver­trauens ist im vor­liegen­den Fall gegeben, wenn der Beschw­erdegeg­n­er wusste oder zumin­d­est in Kauf nahm, dass er über die ihm von den „Käufern“ beziehungsweise „Bestellern“ zu Han­den der Gen­er­alun­ternehmer über­wiese­nen Reser­va­tion­szahlun­gen nur im Falle des Zus­tandekom­mens der von ihm zu ver­mit­tel­nden Verträge frei zu seinen Gun­sten ver­fü­gen durfte und sie bei Nichtzu­s­tandekom­men der Verträge den „Käufern“ beziehungsweise „Bestellern“ zurück­er­stat­ten musste.

4.6 […] War dem Beschw­erdegeg­n­er aber bekan­nt, dass er über die Reser­va­tion­szahlun­gen jeden­falls bis zum Zus­tandekom­men der von ihm zu ver­mit­tel­nden Verträge nicht frei ver­fü­gen durfte, so han­delte er in Bezug auf das Tatbe­standsmerk­mal des Anver­trauens mit dem für den Vor­satz erforder­lichen Wis­sen. Für die Frage des Vor­satzes ist es uner­he­blich, dass der Beschw­erdegeg­n­er im Zeit­punkt der unrecht­mäs­si­gen Ver­wen­dun­gen der ihm anver­traut­en Reser­va­tion­szahlun­gen allen­falls darauf ver­traute, dass bei pflicht­gemässem Ver­hal­ten der Gen­er­alun­ternehmer die Verträge zweifel­los zus­tande kom­men und ihm damit gemäss den von ihm mit den Gen­er­alun­ternehmern getrof­fe­nen Vere­in­barun­gen die Reser­va­tion­szahlun­gen als Entschädi­gung für seine Dien­stleis­tun­gen zuste­hen würden.

Das Argu­ment, dass selb­st die Vorin­stanz in einem ersten Urteil davon aus­ge­gan­gen ist, dass dem Beschw­erde­führer keine Ver­mö­genswerte anver­traut wor­den waren, liess das Bun­des­gericht nicht gel­ten. Eben­sowenig könne, so führt das Gericht aus, die Annahme des Beschw­erde­führers, sein Ver­hal­ten sei nicht straf­bar, dessen Vor­satz ausschliessen:

4.3 Der Vor­satz des Beschw­erdegeg­n­ers in Bezug auf das Tatbe­standsmerk­mal des Anver­trauens im Sinne von Art. 138 StGB kann ent­ge­gen den Erwä­gun­gen im ange­focht­e­nen Entscheid nicht mit der Begrün­dung verneint wer­den, dass auch die Vorin­stanz sel­ber in ihrem ersten Urteil angenom­men hat­te, die Reser­va­tion­szahlun­gen seien unter den gegebe­nen Umstän­den dem Beschw­erdegeg­n­er nicht anver­traut gewe­sen, und dass daher dem Beschw­erdegeg­n­er als juris­tis­chem Laien ein den Vor­satz auss­chliessender Sachver­halt­sir­rtum zuzu­bil­li­gen sei. Wollte man diesem vorin­stan­zlichen Argu­ment fol­gen, hätte dies let­ztlich zur Kon­se­quenz, dass beispiel­sweise eine Rechtsmit­telin­stanz, welche abwe­ichend von der freis­prechen­den ersten Instanz ein objek­tives Tatbe­standsmerk­mal als erfüllt erachtet, den Beschuldigten eines Vor­satzde­lik­ts man­gels Vor­satzes freis­prechen müsste, weil auch die erste Instanz nicht gewusst habe, dass unter den gegebe­nen Umstän­den das Tatbe­standsmerk­mal erfüllt ist. Die irrtüm­liche Auf­fas­sung des Beschuldigten, dass unter den gegebe­nen konkreten Umstän­den ein bes­timmtes strafrechtlich­es Merk­mal eines Tatbe­stands nicht erfüllt sei, ist grund­sät­zlich ein unbeachtlich­er Subsumtionsirrtum.

Der Vor­satz kann auch nicht mit dem Argu­ment verneint wer­den, der Beschw­erdegeg­n­er habe zwar gewusst, dass er im Falle des Nichtzu­s­tandekom­mens der Kauf- beziehungsweise Werkverträge zivil­rechtlich zur Rück­er­stat­tung der Reser­va­tion­szahlun­gen an die „Käufern“ respek­tive „Bestellern“ verpflichtet sei, er habe aber wed­er gewusst noch in Kauf genom­men, dass diese Rück­er­stat­tungspflicht beziehungsweise deren Ver­let­zung auch strafrechtlich rel­e­vant sei. Ein solch­es Argu­ment liefe let­ztlich darauf hin­aus, den Irrtum über die Straf­barkeit eines bes­timmten Ver­hal­tens als einen den Vor­satz auss­chliessenden Sachver­halt­sir­rtum zu qual­i­fizieren, was unrichtig wäre.