6B_536/2009: Private Beweismittelbeschaffung (Videoüberwachung)

Das Bun­des­gericht set­zte sich jüngst (Urteil 6B_536/2009 vom 12. Novem­ber 2009) einge­hend mit der Recht­mäs­sigkeit von pri­vat erhobe­nen Beweis­mit­teln auseinan­der. Im betr­e­f­fend­en Fall ging es um eine Videokam­era, mit der die Mitar­beit­er der beschw­erde­führen­den Fir­ma während der Geschäft­szeit­en überwacht wur­den, ohne davon zu wissen.

In seinen Erwä­gun­gen hält das Bun­des­gericht zunächst fest, dass die pri­vate Videoüberwachung wed­er gegen das BÜPF oder die StPO/ZH ver­stösst noch den Straftatbe­stand der Ver­let­zung des Geheim- oder Pri­vat­bere­ichs durch Auf­nah­megeräte erfüllt:

3.1 Das Bun­des­ge­setz betr­e­f­fend die Überwachung des Post- und Fer­n­melde­v­erkehrs (BÜPF […]) und die Bes­tim­mungen der Straf­prozes­sor­d­nung des Kan­tons Zürich betr­e­f­fend den Ein­satz von tech­nis­chen Überwachungs­geräten (§§ 104 ff. StPO/ZH) sind allein auf amtlich ange­ord­nete Überwachun­gen anwend­bar. Sie find­en auf die Beweis­er­he­bung beziehungsweise die Beschaf­fung von Beweis­mit­teln durch Pri­vat­per­so­n­en keine Anwen­dung. Dass die amtliche Anord­nung ein­er Überwachungs­mass­nahme […] nach den hiefür ein­schlägi­gen Bes­tim­mungen etwa man­gels des hin­re­ichen­den Ver­dachts ein­er Kat­a­log­tat unzuläs­sig wäre, ist kein Hin­weis dafür, dass eine der­ar­tige Beweis­mit­telbeschaf­fung durch eine Pri­vat­per­son unrecht­mäs­sig sei.

3.2 Die von der Beschw­erde­führerin hergestellte Videoauf­nahme betr­e­f­fend das Geschehen im Kassen­raum erfüllt den Tatbe­stand von Art. 179quater StGB nicht, weil dieses Geschehen […] keine Tat­sachen aus dem Gehe­im­bere­ich oder aus dem nicht jed­er­mann ohne weit­eres zugänglichen Pri­vat­bere­ich der Beschw­erdegeg­ner­in 2 betrifft. […]

Daraufhin stellt das Gericht jedoch fest, dass die ArGV (i.V.m. dem ArG) ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Beschw­erde­führerin keine Rechts­grund­lage für Überwachungs­mass­nah­men durch Videoauf­nah­men bieten, aber ein­er geset­zlichen Regelung bedürften:

3.3.1 […] Die Verord­nung 3 zum Arbeits­ge­setz bes­timmt […] im 5. Abschnitt („Überwachung der Arbeit­nehmer“) in Art. 26 fol­gen­des: Überwachungs- und Kon­troll­sys­teme, die das Ver­hal­ten der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz überwachen sollen, dür­fen nicht einge­set­zt werden. […]

3.3.2 Das Arbeits­ge­setz enthält keine Bes­tim­mungen betr­e­f­fend die Überwachung der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz. Es enthält auch keine Bes­tim­mung, die den Bun­desrat aus­drück­lich zum Erlass von Vorschriften auf dem Gebi­et der Überwachung der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz ermächtigt. Es erstaunt, dass der heik­le und schwierige Gegen­stand der Überwachung der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz lediglich in ein­er bun­desrätlichen Verord­nung geregelt wird, und zwar in ein­er Verord­nung, die sich auf das Arbeits­ge­setz stützt, welch­es sein­er­seits den Begriff der Überwachung über­haupt nicht enthält. Es wäre zu begrüssen, wenn die Überwachung der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz zumin­d­est in den Grundzü­gen in einem Gesetz im formellen Sinne geregelt würde. […] Die Frage […], ob, unter welchen Voraus­set­zun­gen und inwiefern die Überwachung der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz durch tech­nis­che Mass­nah­men zuläs­sig ist, ist eine Grund­satzfrage, die unab­hängig von den rasch ändern­den Ver­hält­nis­sen geregelt wer­den kann. […] 

Let­ztlich kommt das Bun­des­gericht zu dem Schluss, dass Überwachungskam­eras ille­gal und damit erstellte Filme nicht als Beweis­mit­tel ver­w­ert­bar sein kön­nen, wenn der­ar­ti­gen Mass­nah­men eine gesund­heitss­chädliche Wirkung innewohnt, was aber im konkreten Fall zu verneinen war:

3.4.1 […] Demge­genüber sind nach dem Wort­laut von Art. 26 Abs. 1 ArGV 3 Überwachungs- und Kon­troll­sys­teme ver­boten, die das Ver­hal­ten der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz überwachen sollen, also Sys­teme, welche ger­ade die Überwachung der Arbeit­nehmer bezweck­en, mithin die gezielte Überwachung des Ver­hal­tens der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz. Die Erfas­sung des Ver­hal­tens am Arbeit­splatz durch Videokam­eras kann für den Arbeit­nehmer gesund­heitlich belas­tend sein. Das Aus­mass dieser Belas­tung kann davon abhän­gen, ob das Überwachungssys­tem, das den Arbeit­nehmer erfasst, gezielt zu dessen Überwachung oder aber aus andern Grün­den einge­set­zt wird. Wesentlich kann insoweit ins­beson­dere auch sein, wie oft, wie lange und bei welchen Tätigkeit­en der Arbeit­nehmer vom Überwachungssys­tem erfasst wird.

3.6.1 Art. 26 Abs. 1 ArGV 3 ist unter Berück­sich­ti­gung sein­er Entste­hungs­geschichte […] sowie ins­beson­dere des Inhalts der gemäss Art. 182 Abs. 1 BV notwendi­gen geset­zlichen Del­e­ga­tion­snorm, auf welche sich die ArGV 3 als geset­zesvertre­tende Verord­nung stützt, in dem Sinne ein­schränk­end auszule­gen, dass Überwachungs- und Kon­troll­sys­teme, die das Ver­hal­ten der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz überwachen sollen, nicht einge­set­zt wer­den dür­fen, soweit sie geeignet sind, die Gesund­heit oder das Wohlbefind­en der Arbeit­nehmer zu beein­trächti­gen. Nur unter dieser Voraus­set­zung stellt das Ver­bot der Überwachung eine Mass­nahme für den Gesund­heitss­chutz im Sinne von Art. 6 Abs. 4 ArG dar.

Eine per se nachteilige Wirkung auf das gesund­heitliche Wohlbefind­en der Mitar­beit­er kann das Bun­des­gericht ein­er Videoüberwachung aber nicht ent­nehmen, weshalb eine solche nicht grund­sät­zlich nach Art. 26 Abs. 2 ArGV 3 ver­boten ist:

3.6.2 […] Dem Verord­nungs­ge­ber kann hinge­gen nicht gefol­gt wer­den, soweit er offen­bar davon aus­ge­ht, dass eine (haupt­säch­lich) der Überwachung des Ver­hal­tens der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz dienende Mass­nahme (Art. 26 Abs. 1 ArGV 3) – im Unter­schied zu einem aus anderen Grün­den ein­gerichteten Überwachungssys­tem (Art. 26 Abs. 2 ArGV 3) – eo ipso die Gesund­heit der Arbeit­nehmer beein­trächti­gen kann und daher zu ver­bi­eten ist. Der Zweck der Überwachungs­mass­nahme ist nur ein Kri­teri­um neben andern (Häu­figkeit, Dauer etc. der Überwachung), die unter dem Gesicht­spunkt des Gesund­heitss­chutzes von Bedeu­tung sein kön­nen. Ein Überwachungssys­tem kann daher, auch wenn es (haupt­säch­lich) der geziel­ten Überwachung des Ver­hal­tens der Arbeit­nehmer am Arbeit­splatz dient, erlaubt sein, wenn die Arbeit­nehmer nur spo­radisch und kurzzeit­ig bei bes­timmten Gele­gen­heit­en vom Überwachungssys­tem erfasst werden.

Schliesslich wird noch erwäh­nt, dass die Überwachung von Arbeit­nehmern am Arbeit­splatz auch die Per­sön­lichkeit der Arbeit­nehmer ver­let­zen und/oder gegen Vorschriften des Daten­schutzge­set­zes ver­stossen könne gemäss Art. 28 ZGB, Art. 328 OR und Art. 328b OR sowie Art. 12 DSG (vgl. E. 3.7), aber im zu beurteilen­dem Fall auch diese Vorschriften ein­er Überwachungskam­era nicht entgegenstünden.