In dem zur Publikation vorgesehenen Urteil vom 18. Februar 2010 (6B_1005/2009) bestätigte das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur rechtfertigenden Notwehr gemäss Art. 15 StGB.
Danach muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen, wofür „vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung“ eine Rolle spielten (so bereits in BGE 102 IV 65 E. 2a; BGE 79 IV 148 E. 1). Die Angemessenheit der Abwehr ist dabei aufgrund der Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand, anstatt aus einer nachträglichen Sicht zu erwägen, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Massnahmen hätte begnügen können und sollen (vgl. BGE 107 IV 12 E. 3a).
Auf dieser Grundlage hob das Bundesgericht eine Entscheidung des Obergerichts ZH auf, das den Beschwerdeführer u.a. wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 i.V.m. 22 Abs. 1 und 16 Abs. 1 StGB) verurteilt hatte, und wies die Vorinstanz an, den Beschwerdeführer von diesem Vorwurf freizusprechen. Das Obergericht Zürich hatte zwar eine Notwehrsituation bejaht, war aber der Meinung, die Reaktion des Angegriffenen sei als unverhältnismässig anzusehen. Der Beschwerdeführer habe die Grenzen der erlaubten Notwehr in unangemessener Weise überschritten (vgl. Art. 15 StGB), und der massive Notwehrexzess sei auch nicht entschuldbar (vgl. Art. 16 Abs. 2 StGB).
Das Bundesgericht hingegen betrachtete die Notwehrhandlung als verhältnismässig, obwohl der Beschwerdeführer mit einem Messer auf den nicht mit Waffen oder Werkzeugen ausgestattetenen Angreifer eingestochen hatte. In solchen Fällen sei die Abwehr angemessen, „wenn der Angriff nicht mit weniger gefährlichen und zumutbaren Mitteln hätte abgewendet werden können, der Täter womöglich gewarnt worden ist und der Abwehrende vor der Benutzung des gefährlichen Werkzeugs das Nötige zur Vermeidung einer übermässigen Schädigung vorgekehrt hat“ (E. 3.3). Eine „Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter [sei] unerlässlich“, und „deren Ergebnis [müsse] für den Angegriffenen […] mühelos erkennbar sein“ (E. 3.3 mit Verweis auf BGE 107 IV 12 E. 3b).
Im zu beurteilenden Fall sah sich der Beschwerdeführer mit zwei Angreifern konfrontiert, die ihn mit Faustschlägen und Fusstritten traktierten. Da er die Notwehrlage nicht verursacht hatte bzw. den Abwehrhandlungen keine Provokation seinerseits vorausging, war er nicht verpflichtet, dem rechtswidrigen Angriff auszuweichen, sondern durfte sich verteidigen bzw. war er zur Abwehr befugt (E. 4.1 mit Hinweis auf BGE 101 IV 119).
Dazu stellte das Bundesgericht folgende Erwägungen an:
4.2 […] Er war mithin zahlenmässig und körperlich einer Angriffsübermacht ausgesetzt. Die Angreifer traten ihn mit den Füssen und schlugen ihn mit den Fäusten. Ein Faustschlag ging in das Gesicht des Beschwerdeführers. Der Angriff gestaltete sich damit insgesamt keineswegs als harmlos, sondern war heftig, wenn nicht gar brutal. Die Vorstellung des Angegriffenen bzw. des Beschwerdeführers, aufgrund von weiteren solchen Tritten und Schlägen — etwa bei einem Fall zu Boden — allenfalls erheblich verletzt zu werden, kann deshalb […] nicht als unbegründet abgetan werden. […] Unter diesen Umständen war der Beschwerdeführer nicht gehalten, die Auseinandersetzung mit blossen Händen und Füssen zu führen bzw. zu versuchen, den Angriff mit blosser Körpergewalt abzuwehren. Das Notwehrrecht gibt nicht nur das Recht, mit gleichen Mitteln abzuwehren, mit denen der Angriff erfolgt, sondern mit solchen, die eine effektive Abwehr ermöglichen. Das bedeutet, dass der Verteidiger von Anfang an die voraussichtlich wirksamen Mittel einsetzen darf (BGE 107 IV 12 E. 3b […]). Angesichts der Art und Schwere des Angriffs, der zahlenmässigen Überlegenheit der Angreifer und des Risikos, im Laufe der Auseinandersetzung möglicherweise auch erhebliche Körperverletzungen davonzutragen, kann dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden, den Angriff mit dem Messer abgewehrt zu haben. Der Messereinsatz als solcher erscheint daher vorliegend nicht von vorneherein als unzulässig.
Allerdings war der Beschwerdeführer beim Einsatz des Messers zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet. Ein solcher kann grundsätzlich nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Der Angegriffene ist deshalb an sich gehalten, den Gebrauch des Messers zunächst anzudrohen bzw. den Angreifer zu warnen. Der Beschwerdeführer tat das zwar nicht, er stach vielmehr unvermittelt zu. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich aber, dass der Beschwerdeführer vor einer gefährlichen Verwendung des Messers einen schonenderen bzw. milderen Einsatz desselben zur Erreichung des Abwehrerfolgs versuchte, indem er dem Angreifer nachweislich zunächst „lediglich“ einen Stich gegen das Knie versetzte. Mit diesem ersten Stich verband er zudem die Drohung, der Geschädigte werde jetzt sterben, wenn er weitermache. Mit anderen Worten stellte er nach einem ersten milden bzw. milderen Einsatz des Messers dem bzw. den Angreifern einen solchen mit schwerwiegenderen bzw. gar lebensgefährlichen Folgen in Aussicht, falls sie nicht von ihm ablassen würden. Die Angreifer reagierten darauf nicht, sondern setzten ihr Tun nach den Feststellungen der Vorinstanz unbeirrt fort. Erst in diesem Zeitpunkt, nachdem also eine relativ wenig gefährliche Abwehrhandlung verbunden mit einer verbalen Warnung der den Angreifenden drohenden Gefahr wirkungslos geblieben war, stach der Beschwerdeführer dem Geschädigten bei weiterdauerndem Angriff in die Flanke (und Schulter). Unter diesen Umständen kann die Art der Abwehr, welche zur Vermeidung übermässiger Schädigungen abgestuft erfolgte, […] nicht als unangemessen bezeichnet werden. Der Einsatz des Messers, insbesondere auch der Stich in die Flanke, war zur erfolgreichen Abwehr des Angriffs erforderlich und berücksichtigte auch unter dem Gesichtspunkt der drohenden Rechtsgüterverletzungen das Verhältnis zu dessen Schwere.
Abschliessend ist anzumerken, dass für eine Rechtfertigung wegen Notwehr nach Art. 15 StGB noch ein Verteidigungswillen des Angegriffenen erforderlich ist. Im vorliegenden fall sah das Bundesgericht keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer nicht mit einem solchen Notwehrwillen gehandelt hatte, selbst wenn er „wegen des grundlosen Angriffs wütend wurde und nach den Feststellungen der Vorinstanz einen gezielten Gegenangriff tätigte“ (E. 4.3).