6B_235/2010: Widerruf der bedingten Entlassung

In seinem Urteil vom 17. Mai 2010 (6B_235/2010) äussert sich das Bun­des­gericht zu den Voraus­set­zun­gen ein­er Nicht­be­währung in der Probezeit gemäss Art. 89 Abs. 1 StGB und einem Verzicht auf Rück­ver­set­zung in den Strafvol­lzug gemäss Art. 89 Abs. 2 Satz 1 StGB. Danach ist eine Rück­ver­set­zung anzuord­nen, wenn der bed­ingt Ent­lassene während der Probezeit ein Ver­brechen oder Verge­hen began­gen hat; eine Aus­nahme bilden “blosse Zufall­stat­en, die nicht unbe­se­hen darauf schliessen lassen, er werde weit­er delinquieren. 

2.2 […] Die Anforderun­gen an eine gün­stige Prog­nose sind zwar strenger als bei der Gewährung des bed­ingten Strafvol­lzuges eines Erst­täters nach Art. 42 Abs. 1 StGB, dage­gen grosszügiger als beim Wieder­hol­ungstäter nach Art. 42 Abs. 2 StGB. Angesichts der bloss rel­a­tiv­en Sicher­heit von Legal­prog­nosen dür­fen an die Erwartung, dass keine weit­eren Straftat­en began­gen wer­den, keine über­mäs­sig hohen Anforderun­gen gestellt wer­den. Wie beim Entscheid über die bed­ingte Ent­las­sung muss genü­gen, wenn dies vernün­ftiger­weise erwartet wer­den darf. Für die prog­nos­tis­che Bew­er­tung der neuen Straftat (Art. 89 Abs. 2 StGB) kön­nen die vom Bun­des­gericht entwick­el­ten Prog­nosekri­te­rien für die Gewährung des bed­ingten Strafvol­lzuges (Art. 42 Abs. 1 StGB) beige­zo­gen wer­den. So ist bei der Prü­fung, ob der Verurteilte für ein dauern­des Wohlver­hal­ten Gewähr bietet, eine Gesamtwürdi­gung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung mit einzubeziehen sind neben den Tatum­stän­den auch das Vor­leben und der Leu­mund sowie alle weit­eren Tat­sachen, die gültige Schlüsse auf den Charak­ter des Täters und die Aus­sicht­en sein­er Bewährung zulassen. Für die Ein­schätzung des Rück­fall­risikos ist ein Gesamt­bild der Täter­per­sön­lichkeit unerlässlich.

Rel­e­vante Fak­toren sind etwa strafrechtliche Vor­be­las­tung, Sozial­i­sa­tions­bi­ogra­phie und Arbeitsver­hal­ten, das Beste­hen sozialer Bindun­gen, Hin­weise auf Sucht­ge­fährdun­gen usw. Dabei sind die per­sön­lichen Ver­hält­nisse bis zum Zeit­punkt des Entschei­des mit einzubeziehen. Es ist unzuläs­sig, einzel­nen Umstän­den eine vor­rangige Bedeu­tung beizumessen und andere zu ver­nach­läs­si­gen oder über­haupt auss­er Acht zu lassen. Wie bei der Strafzumes­sung (Art. 50 StGB) müssen die Gründe im Entscheid so wiedergegeben wer­den, dass sich die richtige Anwen­dung des Bun­desrechts über­prüfen lässt (BGE 134 IV 1 E. 4.2.1 S. 5). Bei der Beurteilung der Bewährungsaus­sicht ste­ht dem zuständi­gen Gericht ein Ermessensspiel­raum zu. […]