1B_196/2010: Verweis gegen Anwalt wegen ungebührlichen Verhaltens

Recht­san­walt X hat Y, zu deren Nachteil sein Man­dant eine Kör­per­ver­let­zung (Art. 123 Ziff. 1 StGB) began­gen hat­te, unter anderem als geistes- und ver­hal­tens­gestört, wehlei­dig und zwielichtig aggres­siv beze­ich­net und stets beim Namen mit bes­timmten Artikel anstatt Anrede (“die Y”) genan­nt. Daraufhin wurde ihm ein Ver­weis wegen unge­bührlichen, d.h. den ord­nungs­gemässen Ver­fahrens­gang stören­den, Ver­hal­tens in einem leicht­en Fall gemäss § 18 Abs. 2 StPO/SO erteilt.

Das Bun­des­gericht schützt die Auf­fas­sung der Vorin­stanzen mit Urteil vom 18. Novem­ber 2010 (1B_196/2010). Der­ar­tige Bemerkun­gen seien geeignet, das Prozesskli­ma aufzuheizen bzw. zu vergiften und dadurch den Ver­fahrens­gang unnötig zu erschw­eren. Der Beschw­erde­führer habe zwar ein legit­imes Inter­esse daran, die Glaub­würdigkeit der Strafantragsstel­lerin bzw. die Glaub­haftigkeit der Strafanzeige in Frage zu stellen, doch die konkrete Art der Prozess­führung sprenge den Rah­men des Zuläs­si­gen und stelle eine leichte Pflichtver­let­zung nach § 18 Abs. 2 StPO/SO dar.

Fern­er hält das Bun­des­gericht fest, die Vorin­stanz habe zu Recht bei ihrem Diszi­pli­nar­entscheid auf das kan­tonale Prozess­recht abgestellt. Doch selb­st wenn der Ver­fahrens­ge­gen­stand keine standesrechtliche Diszi­plin­ierung nach dem BGFA darstelle, müsse das Bun­des­ge­setz im Hin­blick auf Ausle­gung und Anwen­dung der kan­ton­al­rechtlichen Bes­tim­mung berück­sichtigt wer­den (vgl. auch BGE 130 II 270 E. 3.2.2 und 106 Ia 100 E. 8):

4.1 […] Eine Schranke bei der Ausle­gung des unbes­timmten Rechts­be­griffs “unge­bührlich­es Ver­hal­ten” bildet allerd­ings das (nicht direkt anwend­bare) Anwalts­ge­setz, dessen Art. 12 die Beruf­s­regeln fes­tlegt. Es wäre unzuläs­sig, ein Ver­hal­ten, das nach dieser Bes­tim­mung von der Pflicht zur sorgfälti­gen und effek­tiv­en Wahrnehmung des anwaltlichen Man­dats gedeckt wird, zum Anlass ein­er diszi­pli­nar­ischen Sank­tion nach § 18 Abs. 2 StPO zu machen, weil dadurch die Anwen­dung des Bun­desrechts vere­it­elt würde. Als Ver­fechter von Partei­in­ter­essen ist der Anwalt ein­seit­ig für seinen Klien­ten tätig und darf in dessen Inter­esse ener­gisch auftreten und sich scharf aus­drück­en, ohne jedes Wort auf die Gold­waage zu leg­en. Gle­ich­wohl ist er zu ein­er gewis­sen Zurück­hal­tung verpflichtet und gehal­ten, Eskala­tio­nen zu ver­mei­den. Zwar kön­nen ehrver­let­zende Äusserun­gen, wenn sie einen hin­re­ichen­den Sach­bezug haben und nicht über das Notwendi­ge hin­aus­ge­hen, unter Umstän­den gerecht­fer­tigt sein. Anson­sten aber wer­den unnötig dif­famierende Äusserun­gen wed­er von Art. 12 lit. a BGFA […] noch der Mei­n­ungs­frei­heit (Art. 16 BV) gedeckt.