1B_301/2009: Teilnahme an Adressbuchschwindel durch Anwalt

Auf www.hawi.uzh.ch find­et sich eine auf den 24. Jan­u­ar 2011 datierte Zusam­men­fas­sung von Fan­ny Pauck­er zum bun­des­gerichtlichen Urteil 1B_301/2009 vom 31. März 2010. Der Entscheid behan­delt die Frage, ob in der bera­ten­den Tätigkeit eines Anwalts ein erhe­blich­er Tatver­dacht ein­er strafrechtlichen Teil­nahme an einem Adress­buch­schwindel gese­hen wer­den kann. Im vor­liegen­den Fall wurde dies von der Vorin­stanz verneint, worin das BGer keine Willkür erblickt.

Der Beschw­erdegeg­n­er, ein Recht­san­walt, hat Klien­ten in ein­er strafrechtlichen Unter­suchung wegen Adress­buch­schwindels gemäss Art. 3 lit. b und h UWG berat­en. Seine Man­dan­ten hat­ten For­mu­la­re für Ein­träge in Pri­va­treg­is­ter benutzt, die auf täuschende Weise so aus­gestal­tet waren, dass die Inter­essen­ten nicht bemerk­ten, dass sie sich mit der Unterze­ich­nung dieser Form­blät­ter zu immens hohen Kosten für die Reg­is­tere­in­tra­gung verpflichteten. Die Beträge wur­den durch eine Inkas­so­ge­sellschaft eingetrieben, die eben­falls durch den Beschw­erdegeg­n­er vertreten wur­den. Im Zuge der Ermit­tlun­gen wur­den bei dem Anwalt Doku­mente und Dateien durch das Unter­suchungsrichter­am LU beschlagnahmt. Der Recht­san­walt legte daraufhin vor dem OGer LU erfol­gre­ich Rekurs ein mit der Begrün­dung, dass kein konkreter Tatver­dacht vorgele­gen habe, was nach den Bes­tim­mungen der StPO LU jedoch für eine Entsiegelung von Unter­la­gen erforder­lich war. Gegen diese Entschei­dung und die Rück­gabe der beschlagnahmten Doku­mente und Dateien legte die StA LU vor das BGer Beschw­erde ein.

Das Urteil des BGer, dass sich auf die Prü­fung von Willkür beschränkt, weil es sich bei der zugrunde liegen­den Norm um kan­tonales Recht han­delt, fasst Pauck­er wie fol­gt zusammen:

Der Anwalt führte für eine Inkas­sofir­ma rechtliche Abklärun­gen durch, ob ihre Verträge, welche vom Seco bean­standet wur­den, strafrechtlich anfecht­bar sind. […] In einem juris­tis­chen Bericht, welch­er bei ein­er Inkas­sofir­ma gefun­den wurde, gab der Anwalt Ratschläge zur Gestal­tung solch­er Inkassoverträge ab, emp­fahl ein strafrechtlich zuläs­siges Vorge­hen und regte an, nur sehr vor­sichtig oder gar nicht gegen sich beschw­erende Kun­den vorzuge­hen. Gemäss Vorin­stanz begrün­den rechts­ber­a­tende war­nende Hin­weise kein Indiz für einen hin­re­ichen­den Tatver­dacht. Eben­falls ver­mö­gen der Entwurf ein­er fraglichen Inkassover­tragsklausel und die Empfehlung zur Gestal­tung klar­erer Offert­for­mu­la­re, welche in ein­er E‑Mail an eine Adress­buch­schwindelfir­ma gefun­den wur­den, gemäss Vorin­stanz auf keinen konkreten Tatver­dacht hinzuweisen. Die Adress­buch­schwindelfir­ma ver­langte von den Inkas­sofir­men, dass sämtliche Inkassoverträge mit dem Lauterkeit­srecht in Ein­klang ste­hen soll­ten. Der Anwalt sagte, dass eine Freis­tel­lungsklausel nicht vor einem straf- und zivil­rechtlichem Ver­fol­gungsrisiko schütze, was gemäss Vorin­stanz kein Indiz bezüglich Detail­wis­sens sei.

Nach Ansicht des BGer waren die Voraus­set­zun­gen eines erhe­blichen Tatver­dachts an der Teil­nahme am Adress­buch­schwindel und somit auch für eine Entsiegelung in diesem Fall nicht erfüllt, weshalb die fraglichen Doku­mente und Dateien zu Recht zurück­gegeben wor­den waren. Der Entscheid der Vorin­stanz war somit nicht willkürlich.

Pauck­er zieht fol­gen­des Fazit:

Das anwaltliche Beruf­s­ge­heim­nis wird höher gew­ertet als das öffentliche Inter­esse ein­er Strafver­fol­gung wegen Adress­buch­schwindels. Die Anforderun­gen an die Indizien für einen konkreten Tatver­dacht, welche zur Entsiegelung der fraglichen Doku­mente führen, sind sehr hoch. Ungewiss ist, wie man unter der eid­genös­sis­chen StPO auf diese Prob­lematik reagieren wird, da man nicht mehr mit der Willkürkog­ni­tion argu­men­tieren kann, weil es sich um Bun­desrecht handelt.

Nach­trag vom 26. Jan­u­ar 2011: Diese Ein­schätzung wird von www.strafprozessrecht.ch unter dem Titel “Ohne Tatver­dacht keine Zwangs­mass­nahme” kri­tisch kommmentiert.