1B_44/2010: Aktenedition; Quellenschutz für Blogbeiträge

Wie Swiss­blawg bere­its in einem früheren Beitrag berichtete, dür­fen sich die Medi­en im Hin­blick auf Leserkom­mentare zu eige­nen Blo­gein­trä­gen auf den Quel­len­schutz gemäss Art. 28a Abs. 1 StGB berufen, sofern der Kom­men­tar ein Min­i­mum an Infor­ma­tio­nen enthält. Zu dem – bish­er nur aus der öffentlichen Beratung bekan­nten und zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen – Urteil vom 10. Novem­ber 2010 (1B_44/2010) wurde zum Wochenan­fang die schriftliche Begrün­dung veröffentlicht.

Dem Entscheid liegt fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die StA ZG ermit­telte auf­grund ein­er Anzeige wegen Ehrver­let­zung und Miss­brauchs ein­er Fer­n­meldean­lage gegen eine unbekan­nte Per­son, die – neben weit­eren Inter­net­beiträ­gen – einen Kom­men­tar zu einem Blo­gein­trag auf der Web­site des Schweiz­er Fernse­hens (SF) veröf­fentlicht hat­te. Die StA ZG forderte das SF auf, der Polizei die Angaben des Erstellers des Blog-Kom­men­tars her­auszugeben. Die gegen diese Edi­tionsver­fü­gung ein­gelegte Beschw­erde bei der Jus­tizkom­mis­sion des OGer ZG wurde abgewiesen. Das daraufhin angerufene Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde hinge­gen gut und hob den Entscheid sowie die zugrunde liegende Edi­tionsver­fü­gung auf: Das SF muss wed­er die Iden­tität des Autors noch weit­ere Angaben zur Iden­ti­fizierung (z.B. IP-Adresse des Erstellers und Zeit­punkt der Über­mit­tlung) preisgeben.

Nach Art. 28a Abs. 1 StGB dür­fen wed­er Strafen noch prozes­suale Zwangs­mass­nah­men gegen Per­so­n­en (und deren Hil­f­sper­so­n­en) ver­hängt wer­den, die sich beru­flich mit der Veröf­fentlichung von Infor­ma­tio­nen im redak­tionellen Teil eines peri­odisch erscheinen­den Medi­ums befassen und das Zeug­nis über die Iden­tität des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Infor­ma­tio­nen ver­weigern (vgl. auch den neuen Art. 172 StPO). Die Tatbe­standsmerk­male dieses Zeug­nisver­weigerungsrechts han­delt das BGer in seinem Urteil lehrbuch­mäs­sig ab.

Das BGer kommt zu dem Schluss, dass das SF mit seinen Veröf­fentlichun­gen zweifel­los eine beru­fliche Tätigkeit ausübt und ein peri­odisch erscheinen­des Medi­um darstellt, was nicht nur für die Fernsehsendun­gen gilt, son­dern auch bezüglich der auf sein­er Home­page regelmäs­sig aufgeschal­teten und an die Öffentlichkeit gerichteten Blogs (E. 3.3). Irrel­e­vant sei hier­bei, dass der Blog-Kom­men­ta­tor nicht beru­flich tätig ist, weil dieser sich von vorn­here­in nicht direkt auf den Quel­len­schutz berufen könne. Zudem han­delt es sich bei dem Blog und den dazu ergan­genen Kom­mentaren, so das BGer, um Pub­lika­tio­nen im redak­tionellen Teil, der einen Zusam­men­hang mit der zugrunde liegen­den Sendung aufweist (E. 3.4).

Den Knack­punkt der Entschei­dung sieht das Bun­des­gericht in der Frage, ob der Blo­gein­trag und die zuge­höri­gen Kom­mentare als Infor­ma­tion und nicht als Unter­hal­tung einzuord­nen sind, da der Quel­len­schutz nach dem Wort­laut von Art. 28a Abs. 1 StGB auf die Ver­mit­tlung von Infor­ma­tio­nen beschränkt ist (E. 3.5). Nach sein­er Auf­fas­sung ist der Begriff der Infor­ma­tion in diesem Zusam­men­hang weit auszule­gen und der Begriff der Unter­hal­tung restrik­tiv zu ver­ste­hen. Als Infor­ma­tion gel­ten somit nicht nur ser­iöse Botschaften, son­dern auch Belan­glosigkeit­en; Wahrheits­ge­halt und Ern­sthaftigkeit sowie ein all­ge­meines bzw. öffentlich­es Inter­esse sind uner­he­blich. Als Gründe für diese Ausle­gung führt das Bun­des­gericht an: Bedeu­tung der Medi­en­frei­heit und des Redak­tion­s­ge­heimniss­es; Sys­tem­atik von Art. 28a StGB; Rechtssicher­heit; Ver­lagerung der Straf­barkeit vom Autor zum ver­ant­wortlichen Redak­tor bzw. Medi­en­mi­tar­beit­er nach Art. 28 Abs. 2 und 322bis StGB; möglich­er Verzicht der Redak­tion auf das Redak­tion­s­ge­heim­nis und fehlende direk­te Ansprüche des Autors auf Quel­len­schutz. Im vor­liegen­den Fall war ein Min­dest­mass an Infor­ma­tion laut BGer zu beja­hen, weil der umstrit­tene Kom­men­tar von eige­nen Erfahrun­gen bezüglich der im Blog dargestell­ten Sit­u­a­tion berichtete und somit eine Antwort darauf darstellt (E. 3.7 f.).

Siehe auch die Blog­beiträge auf www.strafprozessrecht.ch und www.br-legal.ch zu diesem Urteil sowie BGer, Urteil 1C_ 285/2009 vom 8. Sep­tem­ber 2010, E. 3.3 (amtl. Publ.), mit dem zuge­höri­gen Swiss­blawg-Beitrag zur Bedeu­tung von IP-Adressen.