6B_460/2010: Strafzumessung bei retrospektiver Konkurrenz; Zusatzstrafe

Im Urteil vom 4. Feb­ru­ar 2011 (6B_460/2010) set­zt sich das Bun­des­gericht mit der Strafzumes­sung bei ret­ro­spek­tiv­er Konkur­renz gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB auseinan­der. Es hält fest, wie die hypo­thetis­che Gesamt­strafe zu bilden ist (E. 3.3.4) und dass die Zusatzs­trafe mit der Grund­strafe gle­ich­w­er­tig sein muss (E. 4.3.1).

Mit 49 Abs. 2 StGB soll das Asper­a­tionsprinzip auch bei ret­ro­spek­tiv­er Konkur­renz gewährleis­tet werden:

2.2 […] Der Täter soll durch die getren­nte Beurteilung von Straftat­en, über die zeitlich zusam­men hätte befun­den wer­den kön­nen, nicht benachteiligt und soweit als möglich auch nicht bess­er gestellt wer­den. Die Zusatzs­trafe gle­icht dementsprechend die Dif­ferenz zwis­chen der ersten Ein­satz- oder Grund­strafe und der hypo­thetis­chen Gesamt­strafe aus, die nach Auf­fas­sung des Richters bei Ken­nt­nis der später beurteil­ten Straftat aus­ge­fällt wor­den wäre (BGE 132 IV 102 E. 8.2 mit Hin­weisen).
3.3.2 […] Es geht nicht darum, die neuen Delik­te alleine zu würdi­gen. Vielmehr ist der Täter so zu stellen, wie wenn über alle Tat­en – auch über die bere­its abgeurteil­ten – gle­ichzeit­ig entsch­ieden würde. […]

Der Beschw­erde­führer hat im vor­liegen­den Fall zunächst vorge­bracht, dass die Vorin­stanz bei der Bil­dung der hypo­thetis­chen Gesamt­strafe die Ein­satzs­trafe für das schw­er­ste Delikt unzuläs­siger­weise nicht fest­gelegt hat­te. Das Bun­des­gericht gibt diesem Ein­wand recht und erläutert das method­is­che Vorge­hen, weist die Beschw­erde jedoch in diesem Punkt ab, weil die vorin­stan­zlichen Erwä­gun­gen zu den einzel­nen Fak­toren der Strafzumes­sung aus­führlich dargestellt wor­den waren:

3.3.4 […] Der Richter hat in einem ersten Schritt den Strafrah­men für die schw­er­ste Straftat zu bes­tim­men und als­dann die Ein­satzs­trafe für diese Tat, unter Ein­bezug aller strafer­höhen­den und straf­min­dern­den Umstände, inner­halb dieses Strafrah­mens festzuset­zen. In einem zweit­en Schritt hat er diese Ein­satzs­trafe unter Ein­bezug der anderen Straftat­en zu ein­er Gesamt­strafe zu erhöhen, wobei er eben­falls den jew­eili­gen Umstän­den Rech­nung zu tra­gen hat (vgl. Urteil 6B_218/2010 vom 8. Juni 2010 E. 2.1 mit Hinweisen). […]

Fern­er rügte der Beschw­erde­führer, dass die Vorin­stanz eine Frei­heitsstrafe als Zusatzs­trafe zu ein­er Geld­strafe als Grund­strafe aus­ge­fällt hat, weil sie eine Geld­strafe in Bezug auf die gewün­schte Strafwirkung als nicht genü­gend erachtete. Das Bun­des­gericht sieht darin einen Ver­stoss gegen die von der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung entwick­el­ten Grund­sätze für die Strafzumes­sung bei ret­ro­spek­tiv­er Konkur­renz und heisst die Beschw­erde teil­weise gut:

4.3.1 […] Bedin­gung für eine Zusatzs­trafe ist stets, dass die Voraus­set­zun­gen der Gesamt­strafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB erfüllt sind (BGE 102 IV 242 E. 4b mit Hin­weis). Danach sind ungle­ichar­tige Strafen kumu­la­tiv zu ver­hän­gen, weil das Asper­a­tionsprinzip nur greift, wenn mehrere gle­ichar­tige Strafen aus­ge­sprochen wer­den. Die Bil­dung ein­er Gesamt­strafe ist bei ungle­ichar­ti­gen Strafen nicht möglich (Urteil 6B_785/2009 vom 23. Feb­ru­ar 2010 E. 5.5 mit Hin­weisen). Die Prax­is zu Art. 68 aSt­GB ist somit weit­er­hin mass­gebend. Gemäss dieser Recht­sprechung mussten bei­de Strafen ver­hängt und kon­nte keine Gesamt­strafe gebildet wer­den, wenn jemand ein­er­seits mit ein­er Frei­heitsstrafe und ander­seits mit ein­er Busse zu bestrafen war (BGE 102 IV 242 E. 5 mit Hin­weisen). Dies gilt gle­icher­massen nach neuem Recht, ungeachtet dessen, dass durch die am 1. Jan­u­ar 2007 in Kraft getretene Revi­sion des All­ge­meinen Teils des Strafge­set­zbuchs neue Stra­farten hinzugekom­men sind. Die Bil­dung ein­er Gesamt­strafe – und mithin ein­er Zusatzs­trafe – ist also nur möglich, wenn mehrere Geld­strafen, mehrfache gemein­nützige Arbeit, mehrere Frei­heitsstrafen oder mehrere Bussen aus­ge­sprochen wer­den […]. Dem­nach ist es aus­geschlossen, eine Frei­heitsstrafe als Zusatzs­trafe zu ein­er Geld­strafe auszus­prechen. Aus dem nach Art. 68 Ziff. 2 aSt­GB ergan­genen BGE 132 IV 102 E. 8.2, wonach der Zweitrichter in Bezug auf die Stra­fart nicht an den recht­skräfti­gen ersten Entscheid gebun­den ist, kann für das heutige Recht nichts abgeleit­et werden.