2C_929/2010: Entgegennahme von Publikumseinlagen / Werbeverbot / “naming and shaming”

Im Entscheid 2C_929/2010 hat­te sich das Bun­des­gericht mit Fra­gen der bewil­li­gungslosen Ent­ge­gen­nahme von Pub­likum­sein­la­gen sowie dem sog. Wer­be­ver­bot bzw. der auf­sicht­srechtlichen Mass­nahme des soge­nan­nten “nam­ing and sham­ing” zu befassen.

Zunächst erin­nert das Bun­des­gericht an die Regelung in Art. 1 Abs. 2 BankG, wonach es Per­so­n­en, die dem Bankenge­setz nicht unter­ste­hen, ver­boten ist, gewerb­smäs­sig Pub­likum­sein­la­gen ent­ge­gen­zunehmen, d.h. das sog. banken­mäs­siges Pas­sivgeschäft zu betreiben (E. 2.1). Das Bun­des­gericht ver­weist dabei auf seine Recht­sprechung in BGE 132 II 382 E. 6.3.1 sowie das Rund­schreiben der FINMA 2008/3.

Weit­er führt das Bun­des­gericht aus, eine unzuläs­sige Ent­ge­gen­nahme von Pub­likum­sein­la­gen könne auch durch ein arbeit­steiliges Vorge­hen im Rah­men ein­er Gruppe erfol­gen (E. 2.2):

[…] Die Bewil­li­gungspflicht und die finanz­mark­trechtliche Auf­sicht sollen nicht dadurch umgan­gen wer­den kön­nen, dass jedes einzelne Unternehmen bzw. die dahin­ter ste­hen­den Per­so­n­en für sich allein nicht alle Voraus­set­zun­gen für die Unter­stel­lungspflicht erfüllen, im Resul­tat aber gemein­sam den­noch eine bewil­li­gungspflichtige Tätigkeit aus­geübt wird. Der Schutz des Mark­tes, des Finanzsys­tems und der Anleger recht­fer­tigt in solchen Fällen trotz for­maljuris­tis­ch­er Tren­nung der Struk­turen finanz­mark­trechtlich eine ein­heitliche (wirtschaftliche) Betra­ch­tungsweise, falls zwis­chen den einzel­nen Per­so­n­en und/oder Gesellschaften enge wirtschaftliche (finanzielle/geschäftliche), organ­isatorische oder per­son­elle Ver­flech­tun­gen beste­hen und vernün­ftiger­weise einzig eine Gesamt­be­tra­ch­tung den fak­tis­chen Gegeben­heit­en und der Zielset­zung der Finanz­mark­tauf­sicht gerecht wird. Das Erfassen von bewil­li­gungs­los täti­gen Inter­mediären im Rah­men ein­er Gruppe mit den entsprechen­den auf­sicht­srechtlichen Kon­se­quen­zen richtet sich gegen den Rechtsmiss­brauch und soll ver­hin­dern, dass Akteure, die in Umge­hung der finanz­mark­trechtlichen Aufla­gen han­deln, bess­er gestellt sind, als wer sich geset­zeskon­form der Auf­sicht der staatlichen Behör­den unter­wirft (BGE 136 II 43 E. 4.3.3 S. 51). Ein grup­pen­weis­es Han­deln liegt nach der Recht­sprechung ins­beson­dere dann vor, wenn die Beteiligten gegen aussen als Ein­heit auftreten bzw. auf­grund der Umstände (Ver­wis­chen der rechtlichen und buch­hal­ter­ischen Gren­zen zwis­chen den Beteiligten; fak­tisch gle­iche Geschäftssitze; wirtschaftlich unbe­grün­dete, ver­schachtelte Beteili­gungsver­hält­nisse; zwis­chengeschal­tete Treuhand­struk­turen usw.) davon auszuge­hen ist, dass koor­diniert — aus­drück­lich oder stillschweigend arbeit­steilig und ziel­gerichtet — eine gemein­same Aktiv­ität im auf­sicht­srechtlichen Sinn aus­geübt wird (BGE 2C_89/2010 vom 10. Feb­ru­ar 2011 E. 3.1 und 3.2; BGE 136 II 43 E. 4.3, je mit Hinweisen).”

Und fern­er:

3.2.3 Die Annahme, dass juris­tis­che oder natür­liche Per­so­n­en im Rah­men ein­er auf­sicht­srechtlich als Gruppe zu erfassende Ein­heit gehan­delt haben, hat zur Kon­se­quenz, dass die geset­zlichen Fol­gen deren Mit­glieder unab­hängig davon tre­f­fen, ob sie sel­ber alle Tatbe­stand­se­le­mente erfüllen oder ob sie über­haupt keine finanz­mark­trechtlich rel­e­vante Tätigkeit aus­geübt haben, solange sie in einem Gesamt­plan koor­diniert und wesentlich zu ein­er solchen beitru­gen. In dieser Sit­u­a­tion ist nicht das von den Beteiligten gewählte mehr oder weniger überzeu­gend aufge­baute formelle Kon­strukt entschei­dend, son­dern die wirtschaftlich tat­säch­lich bezweck­te bzw. aus­geübte Gesamtaktivität. […]”

Weit­er äussert sich das Bun­des­gericht zur Frage, wann die Ein­set­zung eines Unter­suchungs­beauf­tragten i.S.v. Art. 36 FINMAG zuläs­sig bzw. geboten ist:

4.1 Liegen hin­re­ichend konkrete Anhalt­spunk­te dafür vor, dass eine bewil­li­gungspflichtige Geschäft­stätigkeit aus­geübt wer­den kön­nte, ist die FINMA […] befugt und verpflichtet (BGE 2C_89/2010 vom 10. Feb­ru­ar 2011 E. 4.2; [weit­ere Entschei­de]), die zur weit­eren Abklärung erforder­lichen Infor­ma­tio­nen einzu­holen und die nöti­gen Anord­nun­gen zu tre­f­fen. Für die Ein­set­zung eines Unter­suchungs­beauf­tragten ist nicht erforder­lich, dass eine bes­timmte Geset­zesver­let­zung bere­its fest­ste­ht; es genügt, dass auf­grund der konkreten Umstände und Ver­dachtsmo­mente objek­tive Anhalt­spunk­te für eine solche sprechen, wobei der Sachver­halt nur durch die Kon­trolle vor Ort bzw. durch die Ein­set­zung eines Unter­suchungs­beauf­tragten mit den entsprechen­den Befug­nis­sen abschliessend gek­lärt wer­den kann. Die finanz­mark­trechtliche Ein­set­zung des Unter­suchungs­beauf­tragten muss — wegen der damit ver­bun­de­nen Kon­se­quen­zen (vgl. BGE 126 II 111 E. 5b/bb S. 121) — ver­hält­nis­mäs­sig, d.h. zum Schutz der Gläu­biger und des Finanz­mark­ts geeignet und erforder­lich, sein. […]”

Weit­er äusserte sich das Bun­des­gericht zunächst zum soge­nan­nten “Wer­be­ver­bot”:

5.1 Y.________ kri­tisiert zu Unrecht das ihm unter Strafan­dro­hung aufer­legte Annahme- bzw. Wer­be­ver­bot: Das soge­nan­nte “Wer­be­ver­bot” bezieht sich nicht allein auf die Wer­bung für die uner­laubte Ent­ge­gen­nahme von Pub­likum­sein­la­gen, weshalb nicht entschei­dend ist, ob er bere­its bish­er per­sön­lich Anleger gewor­ben hat oder nicht. Das “Wer­be­ver­bot” beste­ht darin, dass dem Betrof­fe­nen unter Strafan­dro­hung gemäss Art. 48 FINMAG unter­sagt wird, Pub­likum­sein­la­gen gewerb­smäs­sig ent­ge­gen­zunehmen (Art. 1 Abs. 2 und Art. 46 BankG) oder für die Ent­ge­gen­nahme von Pub­likum­sein­la­gen Wer­bung zu betreiben (Art. 49 BankG; Art. 3 Abs. 1 BankV; ZULAUF/WYSS/ROTH, Finanz­mark­ten­force­ment, 2008, S. 236 ff.). […] Mit dem aus­drück­lichen Ver­bot, zukün­ftig ohne Bewil­li­gung gewerb­smäs­sig Kun­den­gelder ent­ge­gen­zunehmen, wird [dem Beschw­erde­führer] lediglich in Erin­nerung gerufen, was bere­its von Geset­zes wegen gilt. Es han­delt sich dabei um eine War­nung bzw. Ermah­nung als “Reflexwirkung” der auf­sicht­srechtlichen Mass­nah­men, die zur Konkurs­eröff­nung über die Gesellschaften um ihn geführt haben (vgl. BGE 2C_89/2010 vom 10. Feb­ru­ar 2011 E. 3.4 mit Hin­weisen). Erst bei Wider­set­zlichkeit kon­nte die Auf­sichts­be­hörde gegen voll­streck­bare Ver­fü­gun­gen deren Inhalt im Schweiz­erischen Han­del­samts­blatt veröf­fentlichen oder in ander­er Form bekan­nt­machen, wenn sie dies — wie hier — zuvor ange­dro­ht hat­te (vgl. Art. 23ter Abs. 3 aBankG; vgl. POLEDNA/MARAZZOTTA, in: Wat­ter et al. [Hrsg.], BSK Bankenge­setz, 2005, N. 13 — 15 zu Art. 23ter BankG). Das Bun­des­gericht hat wieder­holt fest­gestellt, dass das Wer­be­ver­bot als solch­es den Betrof­fe­nen kaum berühre, da es lediglich die — so oder anders — beste­hen­den geset­zlichen Pflicht­en (konkretisiert) in Erin­nerung rufe, indessen bloss veröf­fentlicht werde, wenn erneut in Ver­let­zung finanz­mark­trechtlich­er Vor­gaben wieder ein­er bewil­li­gungspflichti­gen Tätigkeit nachge­gan­gen wer­den sollte.”

Schliesslich äussert sich das Bun­des­gericht — soweit ersichtlich zum ersten Mal — zum soge­nan­nten “nam­ing and sham­ing”, ein­er mit dem FINMAG neu einge­führten auf­sicht­srechtlichen Massnahme:

5.2.1 Wird wie hier in Anwen­dung von Art. 34 FINMAG mit dem Wer­be­ver­bot gle­ichzeit­ig auch dessen Veröf­fentlichung ange­ord­net, liegt hierin ein schw­er­er Ein­griff in die all­ge­meinen wie die wirtschaftlichen Per­sön­lichkeit­srechte des Betrof­fe­nen (vgl. ZUFFEREY/CONTRATTO, FINMA, The Swiss Finan­cial Mar­ket Super­vi­so­ry Author­i­ty, 2009, S. 135). Das hat das Bun­desver­wal­tungs­gericht in seinen all­ge­meinen Aus­führun­gen mit dem Hin­weis auf die altrechtliche Recht­sprechung bei der Anord­nung eines Wer­be­ver­bots mit allfäl­lig kün­ftiger Veröf­fentlichung im Wieder­hol­ungs­fall (vgl. BGE 135 II 356 E. 5) verkan­nt. Art. 34 FINMAG sieht heute vor, dass die FINMA ihre End­ver­fü­gung nach Ein­tritt der Recht­skraft unter Angabe von Per­so­n­en­dat­en in elek­tro­n­is­ch­er oder in gedruck­ter Form pub­lizieren kann, wenn eine schwere Ver­let­zung auf­sicht­srechtlich­er Bes­tim­mungen vor­liegt und die Pub­lika­tion in der Ver­fü­gung sel­ber ange­ord­net wird. Dabei geht es um die auf­sicht­srechtliche Sank­tion des soge­nan­nten “nam­ing and sham­ing”, d.h. ein­er Rep­u­ta­tion­sstrafe als repres­sive ver­wal­tungsrechtliche Sank­tion (HSU/BAHAR/RENNINGER, in: Watter/Vogt [Hrsg.], BSK Börsengesetz/Finanzmarktaufsichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 9 zu Art. 34 FINMAG; ZUFFEREY/CONTRATTO, a.a.O., S. 129 ff.). Die FINMA kann diese nur bei ein­er schw­eren Ver­let­zung auf­sicht­srechtlich­er Bes­tim­mungen anord­nen. Die entsprechende Sank­tion muss zudem im Einzelfall wiederum ver­hält­nis­mäs­sig sein. Bei­de Aspek­te sind in der jew­eili­gen Ver­fü­gung zu begrün­den. Eine ein­ma­lige, punk­tuelle und unter­ge­ord­nete Ver­let­zung finanz­mark­trechtlich­er Pflicht­en genügt hier­für nicht. Die Regelungszwecke des Finanz­mark­t­ge­set­zes — die Sich­er­stel­lung der Funk­tions­fähigkeit der Finanzmärk­te (Funk­tion­ss­chutz) ein­er­seits bzw. die Gewährleis­tung des Schutzes der Gläu­biger, der Anleger und der Ver­sicherten ander­er­seits (Indi­vid­u­alschutz) — müssen die Sank­tion recht­fer­ti­gen und die dem Betrof­fe­nen daraus entste­hen­den Nachteile in seinem wirtschaftlichen Fortkom­men mit Blick auf die Schwere der auf­sicht­srechtlichen Ver­let­zung über­wiegen. Dabei ist zu berück­sichti­gen, dass im Inter­net veröf­fentlichte Dat­en poten­ziell ein sehr weites Pub­likum erre­ichen und dies — selb­st nach der Löschung — über einen län­geren Zeitraum hin­weg (HSU/BAHAR/RENNINGER, a.a.O., N. 23 zu Art. 34 FINMAG).”

Das Bun­des­gericht hielt das ange­focht­ene Urteil in diesem Punkt für nicht überzeu­gend; wed­er die FINMA noch das Bun­desver­wal­tungs­gericht hät­ten eine ver­tiefte Inter­essen­ab­wä­gung vorgenom­men; ins­ge­samt sei nicht hin­re­ichende dar­ge­tan, inwiefern im vor­liegen­den Fall eine schwere Ver­let­zung auf­sicht­srechtlich­er Bes­tim­mungen vor­liege (E. 5.2.2); zudem sei in Bezug auf die ange­ord­nete namentliche Veröf­fentlichung unklar, “wo, was unter welchen Bedin­gun­gen wielange pub­liziert wer­den soll” (E. 5.2.3). Das Urteil des Bun­desver­wal­tungs­gerichts wurde daher in diesem Punkt aufge­hoben und zur Neubeurteilung an die FINMA zurück­gewiesen (E. 6.1).