6B_744/2010: Pornografie, Belassen von Daten im Cache-Speicher (Rspr.-Änderung; amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hat mit dem zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 12. Mai 2011 (6B_744/2010) seine bish­erige Recht­sprechung zu Art. 197 Ziff. 3bis StGB ver­schärft. Nun­mehr unter­fällt bere­its das bewusste Belassen von ver­bote­nen pornographis­chen Dat­en im tem­porären Inter­net­spe­ich­er (Cache-Spe­ich­er) dem Tatbe­stand der Pornografie.

Der beschw­erde­führende Gen­er­al­proku­ra­tor des Kan­tons Bern ging gegen einen Freis­pruch des Beschw­erdegeg­n­ers vor. Nach dem Oberg­ericht Bern fiel – in Übere­in­stim­mung mit früheren BGer-Entschei­den – eine Straf­barkeit wegen des Besitzes har­ter Pornogra­phie auss­er Betra­cht, soweit sich die aufge­fun­de­nen Dateien mit pornografis­chen Inhalt im Cache-Spe­ich­er befun­den hat­ten, weil kein gezieltes Herun­ter­laden stattge­fun­den habe und die Löschung der Dat­en nicht durch spezielle Ein­stel­lun­gen ver­hin­dert wor­den sei. Das Bun­des­gericht heisst die Beschw­erde gut und weist das aufge­hobene Urteil für weit­ere Sachver­halts­fest­stel­lun­gen an die Vorin­stanz zurück.

Bis anhin war das Bun­des­gericht aus­ge­gan­gen, dass das Vorhan­den­sein ver­boten­er pornographis­ch­er Dat­en im Cache-Spe­ich­er – zumin­d­est beim durch­schnit­tlichen Inter­net­nutzer – grund­sät­zlich keinen strafrechtlich rel­e­van­ten Besitz darstellt (siehe z.B. Urteile 6B_289/2009 vom 16. Sep­tem­ber 2009 E. 1.4.5; 6S.254/2006 vom 23. Novem­ber 2006 E. 3.3). Nach der Analyse der bish­eri­gen Recht­sprechung (E. 2.3) ver­weisen die Bun­desrichter auf die Inten­tion des Geset­zge­bers (E. 3.2) und die unter­schiedlichen Sichtweisen in der Lit­er­atur (E. 3.3), bevor sie im Hin­blick auf den Begriff des „Besitzes an elek­tro­n­is­chen Dat­en” auf dessen objek­tiv­en und sub­jek­tive Kom­po­nen­ten eingehen:

4.1 […] In objek­tiv­er Hin­sicht wird tat­säch­liche Sach­herrschaft voraus­ge­set­zt (vgl. Botschaft a.a.O. Ziff. 2.2.4.2 […]). Hinge­gen ist eine Beschaf­fung­shand­lung nicht erforder­lich. Straf­bar macht sich auch der­jenige, welch­er zunächst unvorsät­zlich in den Besitz von uner­laubtem pornographis­chem Mate­r­i­al gelangt ist und dieses nach Ken­nt­nis­nahme seines Inhalts weit­er auf­be­wahrt (BGE 131 IV 64 E. 11.4 S. 76 f. mit Hin­weisen […]). Die Herrschaftsmöglichkeit an Dat­en kommt dem­jeni­gen zu, welch­er diese auf seinem eige­nen Com­put­er oder andern Daten­trägern (externe Fest­plat­te, DVD, CD, Diskette, Mem­o­ry Stick u.a.) gespe­ichert hat. Er kann wie ein Besitzer eines physis­chen Gegen­standes darüber ver­fü­gen, sie verän­dern, löschen, kopieren, usw. Aber auch bei ver­bote­nen pornographis­chen Darstel­lun­gen auf einem frem­den Web-Serv­er kann Sach­herrschaft vor­liegen, etwa wenn auf eine pass­wort­geschützte Inter­net­seite mit ver­traglich garantiertem Inhalt zuge­grif­f­en wird (vgl. Botschaft, a.a.O.; Urteil 6S.254/2006, a.a.O., E. 3.4). In sub­jek­tiv­er Hin­sicht bedarf es des Herrschaftswil­lens (vgl. Botschaft a.a.O […]). Hin­sichtlich der Spe­icherung mit­tels tech­nis­ch­er Geräte wird erwartet, der Täter habe Ken­nt­nis um die Funk­tion­sweise und den Inhalt der Spe­icherung […]. Denn wer eine Sache beherrschen will, weiss um ihre Existenz.

Befind­en sich Dat­en im tem­porären Inter­net­spe­ich­er, ist nach neuer Ansicht des Bun­des­gerichts der objek­tive Tatbe­stand zu bejahen:

4.2.1 Hin­sichtlich der Dat­en im Cache-Spe­ich­er ver­fügt der Com­put­er-/In­ter­net­be­nutzer aus objek­tiv­er Sicht über die Herrschafts­macht, da ihm auf der Fest­plat­te eine Kopie der im Inter­net besucht­en Seit­en zur Ver­fü­gung ste­ht. Er hat die Möglichkeit, mit­tels geeigneter Pro­gramme ohne Inter­netverbindung auf deren Inhalt zuzu­greifen und damit nach Belieben zu ver­fahren. Die Cache-Dateien bleiben für eine gewisse Zeit­dauer gespe­ichert, bis sie automa­tisch über­schrieben oder manuell gelöscht wer­den. Die begren­zte zeitliche Sach­herrschaft spricht nicht gegen Besitz (vgl. Urteil 6S.254/2006, E. 3.3 […]).[…] Insoweit ist die Auf­fas­sung, wonach die Vergänglichkeit der Cache-Dateien gegen Besitz spreche (Botschaft, a.a.O. Ziff. 2.2.1.3 betr­e­f­fend “tem­poräre” Dateien), jeden­falls bei Benutzern, die über entsprechende Ken­nt­nis ver­fü­gen […], nach dem heuti­gen Stand der Tech­nik zu relativieren.

Bei Prü­fung des sub­jek­tiv­en Tatbe­standes muss laut Bun­des­gericht allerd­ings zurück­hal­tend vorge­gan­gen werden:

4.2.2 […] Ein ungeübter Com­put­er-/In­ter­net­be­nutzer, der von der Exis­tenz des Cache-Spe­ich­ers und den darin enthal­te­nen Dat­en nichts weiss, fällt als Täter nach Art. 197 Ziff. 3bis StGB auss­er Betra­cht. Ob er von den Dat­en Ken­nt­nis hat, ist nach den konkreten Umstän­den im Einzelfall zu entschei­den. Hin­weise darauf kön­nen sich beispiel­sweise aus der Änderung der automa­tis­chen Inter­net-Ein­stel­lun­gen, dem Vorhan­den­sein von Pro­gram­men wie Cache-View­er bzw. Cache-Read­er, der manuellen Löschung des Cache-Spe­ich­ers, dem Nach­weis eines Offline-Zugriffs oder aus seinen all­ge­meinen Fachken­nt­nis­sen im Zusam­men­hang mit Com­put­ern und Inter­net ergeben. Wer hinge­gen um die automa­tis­che Spe­icherung der straf­baren pornographis­chen Dat­en weiss und diese im Nach­gang an eine Inter­net­sitzung nicht löscht, man­i­festiert dadurch seinen Besitzwillen, selb­st wenn er darauf nicht mehr zugreift. Er ist genau­so strafwürdig wie der Täter, der ein entsprechen­des physis­ches Doku­ment auf­be­wahrt, welch­es ihm unwil­lentlich zugekom­men ist (vgl. BGE 131 IV 64 E. 11.4 S. 76 f. mit Hinweisen).