Wie bereits berichtet, hat das BVGer die Praxis von Swissmedic zur Medikamenteninformation kassiert. Inzwischen liegt das französischsprachige Urteil des BVGer im Volltext vor. Das BVGer sieht keine ausreichende rechtliche Grundlage für VAM 16a und damit für die Praxis von Swissmedic, die Publikation von Arzneimittelinformationen über Documed bzw. ODDB zu verlangen.
Hintergrund des Verfahrens ist eine Verfügung von Swissmedic vom 30. September 2008, mit welcher ein homöopthisches Heilmittel der Laboratoire homéopathique Jacques Reboh et fils Sàrl (“LHJR”) mit folgender Auflage zugelassen worden war:
“ ‘information sur le médicament […] doit être publiée
a. dans le Compendium Suise des Médicaments (www.documed.ch) ou
b. (pour l’information aux patients uniquement) par Ywesee (www.oddb.org) ou
c. d’une autre manière, pour autant qu’elle satisfasse aux articles 13 et 14 de l’OEMéd”
Die LHJR hatte die Arzneimittelinformationen in der Folge auf einer Website und also weder bei Documed noch über ODDB (vgl. dazu unseren früheren Beitrag zu BGE 136 III 166) veröffentlicht. Gegen die Ansetzung einer Frist zur Herstellung der Konformität gelangte LHJR ans BVGer.
Zu den Bewilligungsvoraussetzungen zählt die Veröffentlichung der Arzneimittelinformationen (HMG 11 I f). 2004 hat Swissmedic im Swissmedic Journal 1/2004 und 3/2008 die Anforderungen an die Fach- und Patienteninformation genauer umschrieben:
“Gemäss ständiger Praxis von Swissmedic (vgl. auch Swissmedic-Journal 1/2004 und 2/2004 sind die Arzneimittelinformationen wie folgt zu veröffentlichen:
Grundsatz: Veröffentlichung in einer Sammlung von Arzneimittelinformationen
[…]Gegenwärtig sind Swissmedic folgende Anbieterinnen solcher Sammlungen bekannt:
Elektronische Sammlungen:
• Arzneimittel-Kompendium der Schweiz®, Documed AG, Aeschenvorstadt 55, 4051 Basel, (www.kompendium.ch; [email protected])
• Oddb.org, ywesee GmbH, Winterthurerstr. 52, 8006 Zürich (www.oddb.org; [Emailadresse])Gedruckte Sammlung:
• Arzneimittel-Kompendium der Schweiz® (vgl. oben)
[…].”
Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Auflage von Swissmedic sei ein ungerechtfertigter Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (BV 27). Das BGer schützt dieses Argument:
- Das BVGer misst VAM 16a gesetzesvertretenden und nicht lediglich gesetzesvollziehenden Charakter bei. Dafür fehle eine ausreichenden Delegation.
- HMG 11 II ermächtige den Bundesrat im Zusammenhang mit der Arzneimittelinformation nur, die erforderlichen Sprachen zu bestimmen.
- Nach HMG 11 III ist Swissmedic befugt, die Angaben und Unterlagen nach HMG 11 I näher zu umschreiben und weitere Angaben und Unterlagen vorzusehen. Swissmedic wird dadurch aber nicht ermächtigt, beliebige Veröffentlichungen vorzusehen.
Infolgedessen war der Bundesrat zum Erlass von VAM 16a nicht ermächtigt:
“Eu égard à ce qui précède, force est de constater que l’art. 16a OMéd sur lequel se fonde l’Institut ne repose sur aucune délégation législative pertinente. Cet article contient visiblement une règle primaire en imposant une nouvelle obligation aux titulaires d’autorisation, ainsi il ne peut sans violer le principe constitutionnel de la séparation des pouvoirs non plus être admis comme simple disposition d’exécution”
Selbst wenn man Swissmedic für berechtigt halten sollte (“par pirouette interprétative”, wie es das BVGer formuliert), die Veröffentlichung der Arzneimittelinformationen in geeigneter Form zu verlangen (wie es AMZV 13 II für Fachinformationen tut), dürfte Swissmedic nicht verlangen, dass die Informationen über Documed oder ODDB zu veröffentlicht werden. Für eine solche Einschränkung fehlt nämlich ebenfalls eine gesetzliche Grundlage, selbst bei Geltung von VAM 16a, und sie wäre unverhältnismässig.
Allerdings bejaht das BVGer das öffentliche Interesse an einem vollständigen Korpus von Arzneimittelinformationen (“Pour qu’un tel répertoire — quelle que soit sa forme — justifie d’une certaine efficacité, il doit impérativement être exhaustif”). Diese Aufgabe komme grundsätzlich Swissmedic zu. Wenn Swissmedic diese Aufgabe auf Private auslagern wolle, so müsse Swissmedic die Rechte der Marktteilnehmer achten (gemeint ist vielleicht: die Aufgabe öffentlich ausschreiben).
Insgesamt stellt das BVGer deshalb fest, dass Swissmedic nicht befugt sei, die Veröffentlichung der Arzneimittelinformationen in bestimmten privaten Datensammlungen zu verlangen.
Jedoch könne das BVGer die entstandene Lücke selbst nicht füllen. Swissmedic habe sich entsprechend zu organisieren, oder der Gesetzgeber müsse aktiv werden:
“l’Institut n’est pas légitimé à contraindre une entreprise à publier les informations sur les médicaments dans un recueil déterminé régi par une société privée. Le résultat de la présente interprétation conduit à la suppression de la pratique actuelle. Mais il ne s’agit pas là d’une lacune que le juge peut combler, ce d’autant plus que le but poursuivi par la publication peut être atteint d’une autre manière. Ainsi, il revient soit à l’Institut de s’organiser pour assurer cette publication soit au législateur de pallier l’absence de base légale claire en matière de publication de l’information sur les médicaments destinée aux professionnels et aux patients.”
Es scheint jedoch, dass das BVGer die Publikation der Informationen durch Swissmedic selbst favorisiert:
- Zunächst bezweifelt das BVGer en passant, dass die beiden Datenbanken, auf die Swissmedic verwiesen hat, vollständig seien. Man wisse, dass der eine Anbieter (gemeint ist ywesee) seine Daten elektronisch vom anderen (Documed) beziehe, “mais on ne connait rien de la pratique de ce dernier [Documed] à l’égard de son concurrent [ywesee]”.
- Swissmedic habe keine Kontrolle über die privat geführten Datenbestände — obwohl das BVGer ein Interesse deren Autoren anerkennt, vollständige Sammlungen zu unterhalten.
- Auch die Preisgestaltung durch die Anbieter liege ausserhalb der Kontrolle von Swissmedic.
- Das Ziel des Veröffentlichungszwangs lasse sich nur dadurch erreichen, dass der Staat die Informationen nach dem Kostendeckungs- und dem Äquivalenzprinzip durch Swissmedic veröffentliche oder einem Privaten eine entsprechende Konzession verleihe.
Im Ergebnis scheint das BVGer also jede private Veröffentlichung der Arzneimittelinformationen als wenigstens zweifelhaft zu betrachten. Es bleibt zu hoffen, dass das BGer die Tragweite dieses Urteils klärt.