1B_77/2011: Ermächtigung zur Strafverfolgung von niederen Beamten (amtl. Publ.)

Mit dem für die amtliche Samm­lung bes­timmten Urteil 1B_77/2011 vom 15. Juli 2011 hat das Bun­des­gericht eine Beschw­erde der Ober­staat­san­waltschaft Zürich gut­ge­heis­sen. Es befand darin über die richter­liche Ermäch­ti­gung zur Eröff­nung ein­er Stra­fun­ter­suchung gegen Zürcher Stadtpolizisten.

Ein Mann hat­te Strafanzeige gegen Polizeibeamte erstat­tet; er machte gel­tend, sie hät­ten ihn bei ein­er Ver­haf­tung mis­shan­delt. Das Oberg­ericht Zürich trat auf das Gesuch der Staat­san­waltschaft um Eröff­nung oder Nich­tan­hand­nahme der Stra­fun­ter­suchung nicht ein, weil § 148 GOG/ZH, wonach diese Entschei­dung bei ein­er Stra­fun­ter­suchung gegen Beamte gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt began­gener Ver­brechen oder Verge­hen das Oberg­ericht zu tre­f­fen hat, der StPO wider­spreche und damit nichtig sei (Art. 49 Abs. 1 BV). Denn gemäss Art. 309 f. StPO entschei­de über die Eröff­nung oder Nich­tan­hand­nahme ein­er Stra­fun­ter­suchung die Staat­san­waltschaft; und auf Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO, wonach die Kan­tone vorse­hen dür­fen, dass die Strafver­fol­gung der Mit­glieder ihrer Vol­lziehungs- und Gerichts­be­hör­den wegen im Amt began­gener Ver­brechen oder Verge­hen von der Ermäch­ti­gung ein­er nicht richter­lichen Behörde abhängt, könne sich § 148 GOG/ZH nicht stützen. Die Ober­staat­san­waltschaft erhob daraufhin erfol­gre­ich Beschwerde.

Ein­gangs beurteilt das Bun­des­gericht die hier nicht unprob­lema­tis­che Zuläs­sigkeit der Beschw­erde.

1.3.1 […] Mit dem Erlass von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO wurde die Zuläs­sigkeit eines Strafver­fol­gung­spriv­i­legs auf alle Mit­glieder kan­tonaler Vol­lziehungs- und Gerichts­be­hör­den aus­gedehnt […]. Es beste­hen keine Hin­weise, dass damit eine Erweiterung des Auss­chlusses der Beschw­erde gemäss Art. 83 lit. e BGG auch auf kan­tonale Staats­be­di­en­stete, welche nicht Mit­glieder der ober­sten Vol­lziehungs- und Gerichts­be­hör­den sind, vorgenom­men wer­den sollte. Dafür bestünde kein sach­lich­er Grund. […] Zu berück­sichti­gen ist überdies, dass gemäss Art. 5 Abs. 5 VG […] bei Bun­des­beamten gegen die Ver­weigerung der Ermäch­ti­gung durch das Eid­genös­sis­che Jus­tiz- und Polizei­de­parte­ment die Beschw­erde an das Bun­desver­wal­tungs­gericht zuläs­sig ist. Das unter­stre­icht die Jus­tizia­bil­ität solch­er Entschei­de. […] Der Auss­chlussgrund von Art. 83 lit. e BGG greift somit nicht.

Auch die Beschw­erdele­git­i­ma­tion war vor­liegend nicht offen­sichtlich gegeben:

1.4 […] Es stellt sich somit die Frage, ob die all­ge­meine Beschw­erde­befug­nis nach Art. 89 Abs. 1 BGG gegeben sei. […] Art. 89 Abs. 1 BGG ist in erster Lin­ie auf Pri­vat­per­so­n­en zugeschnit­ten, doch kann sich auch das Gemein­we­sen darauf stützen, falls es durch den ange­focht­e­nen Entscheid gle­ich oder ähn­lich wie ein Pri­vater betrof­fen ist. Das Gemein­we­sen kann auch in hoheitlichen Inter­essen der­art berührt sein, dass ein schutzwürdi­ges Inter­esse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG anzunehmen ist. […] Der Kan­ton ist hier durch den ange­focht­e­nen Entscheid nicht gle­ich oder ähn­lich wie eine Pri­vat­per­son betrof­fen. […] Ein schutzwürdi­ges Inter­esse ist jeden­falls unter den gegebe­nen Umstän­den zu beja­hen. Der ange­focht­ene Entscheid bet­rifft wesentliche öffentliche Inter­essen des Kan­tons in einem Bere­ich, der diesem gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO zur Regelung über­lassen wurde. […] Das Inter­esse an einem funk­tion­ieren­den Staat­sap­pa­rat ist für das Gemein­we­sen […] von zen­traler Bedeu­tung und deshalb als schutzwürdig anzuerken­nen. Die Beschw­erde­berech­ti­gung des Kan­tons ist somit zu bejahen.

Zur Ermäch­ti­gung eines Gerichts, über die Strafver­fol­gung von Beamten zu entschei­den, heisst es im Urteil:

2.2 […] In Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO wird aus­drück­lich ein Ermäch­ti­gungsver­fahren vor ein­er nicht richter­lichen Behörde als zuläs­sig beze­ich­net. Damit wollte der Bun­des­ge­set­zge­ber aber nicht auss­chliessen, dass die Kan­tone richter­liche Behör­den zur Ermäch­ti­gung der Strafver­fol­gung ein­set­zen. Wenn es den Kan­to­nen ges­tat­tet ist, nicht richter­liche Ermäch­ti­gungs­be­hör­den vorzuse­hen, muss es ihnen nach dem Grund­satz “in maiore minus” erst recht erlaubt sein, mit entsprechen­der Unab­hängigkeit aus­ges­tat­tete richter­liche Behör­den einzuset­zen. Dass der eid­genös­sis­che Geset­zge­ber mit Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO richter­liche Ermäch­ti­gungs­be­hör­den in den Kan­to­nen auss­chliessen wollte, kann umso weniger angenom­men wer­den, als er im Bund teil­weise sel­ber solche einge­set­zt hat (Art. 11 Abs. 1 BGG; Art. 50 Abs. 1 StBOG; Art. 12 Abs. 1 VGG […].

Schliesslich unter­sucht das Bun­des­gericht, ob der ange­focht­ene Entscheid im Ergeb­nis bun­desrecht­skon­form sei, weil es sich bei den Polizeibeamten um solche der Stadt­polizei und damit um Beamte der Gemeinde handelt.

2.7.2 § 148 GOG/ZH sieht den Entscheid des Oberg­erichts nicht nur bei Beamten des Kan­tons, son­dern bei Beamten schlechthin und damit auch bei solchen der Gemeinde vor. Dies ist bun­desrechtlich nicht zu bean­standen. Dass es den Kan­to­nen ges­tat­tet sein muss, auf eine Dif­feren­zierung zwis­chen Beamten des Kan­tons und der Gemeinde zu verzicht­en, zeigt ger­ade der vor­liegende Fall. § 27 POG/ZH sieht gemein­same Ein­sätze der Kan­tons- und der Stadt­polizei vor. Bei ein­er Fes­t­nahme kann es somit ohne Weit­eres vorkom­men, dass Beamte der Kan­tons- und der Stadt­polizei zusam­men­wirken. Es wäre ungereimt und auch für die betrof­fe­nen Polizeibeamten nicht nachvol­lziehbar, wenn das Ermäch­ti­gungser­forder­nis — im gle­ichen Ver­fahren — nur bei den Kantons‑, nicht aber bei den Stadt­polizis­ten gel­ten würde. Bei bei­den Kat­e­gorien beste­ht das Bedürf­nis, die Beamten vor mutwilliger Strafver­fol­gung zu schützen.
Zu berück­sichti­gen ist zudem Fol­gen­des: Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO dür­fen die Kan­tone nach der klaren Entschei­dung des Geset­zge­bers die Strafver­fol­gung auch ihrer niederen Beamten vom Ermäch­ti­gungser­forder­nis abhängig machen. Damit kann es ihnen vernün­ftiger­weise nicht ver­wehrt sein, das Ermäch­ti­gungser­forder­nis eben­so vorzuse­hen bei Beamten von Gemein­den wie ins­beson­dere der Stadt Zürich, die gegebe­nen­falls eine viel höhere Stel­lung bek­lei­den und daher für das Funk­tion­ieren staatlich­er Organe wichtiger sind.
Es ist im Übri­gen kein sach­lich­er Grund dafür ersichtlich, einzig bei Gemein­de­beamten die Möglichkeit des Ermäch­ti­gungser­forderniss­es auszuschliessen. Auch Gemein­de­beamte tra­gen wesentlich zum guten Funk­tion­ieren der Staat­stätigkeit bei und ver­di­enen daher Schutz vor mutwilliger Strafverfolgung.