4A_576/2010: Regress des Versicherers auch zukünftig nur bei Verschulden; Praxisänderung abgelehnt (amtl. Publ.)

Das vor­liegende Urteil bet­rifft die Haf­tungs­fol­gen eines Unfalls. Das BGer äussert sich insbesondere

  • zur Frage, wann ein Schlich­tungs­ge­such ver­jährung­sun­ter­brechend wirken kann, obwohl es nicht von der Gläu­bigerin gestellt wurde: wenn jede Ver­wech­slung aus­geschlossen ist; und vor allem
  • zum Regress des Ver­sicher­ers nach VVG 72 I bei Fehlen ein­er schuld­haften uner­laubten Hand­lung des Regress­be­lasteten: Prax­isän­derung mit einge­hen­der Begrün­dung verweigert. 

Das BGer hält zunächst fest, dass ein Schlich­tungs­ge­such (hier ein altrechtlich­es Sühn­begehren) des Ver­sicher­ers die Ver­jährung auch dann nach OR 135 Ziff. 2 unter­brechen kann, wenn es nicht durch den eigentlichen Ver­sicher­er gestellt wird, son­dern durch eine andere juris­tis­che Per­son des Konz­erns (hier: durch “X. statt durch X. Ver­sicherung AG bzw. X. Kranken-Ver­sicherung AG”). Entschei­dend ist, dass der Schuld­ner über die Iden­tität der betrof­fe­nen Forderung nicht im Unklaren sein darf, dh “der Schuld­ner nach dem Ver­trauen­sprinzip […] zweifels­frei erken­nt oder erken­nen kann, um welche Forderung es geht”.

Das BGer ver­weist dabei auf seine frühere Recht­sprechung, wonach Unter­brechung­shand­lun­gen durch Per­so­n­en, die mit den übri­gen Gläu­bigern durch ein Gemein­schaftsver­hält­nis (Inter­es­sen­ge­mein­schaft bzw. Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft) ver­bun­den sind und erkennbar gemein­sam Schritte zur Durch­set­zung bes­timmter Ansprüche unternehmen, unter­brechend wirken (4C.363/2006 E. 2). Ohne­hin kön­nen die betrof­fe­nen Forderun­gen nachträglich an die Gesuch­stel­lerin zediert wer­den, worauf diese das Ver­fahren fort­set­zen kann; deshalb hat das BGer 1980 entsch­ieden (C.77/1980), ein Sühn­begehren könne die Ver­jährung auch für Forderun­gen von weit­eren, gemein­schaftlich ver­bun­de­nen Gläu­bigern unter­brechen, die noch nicht zediert wor­den sind. Dies entspricht der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung, nach der eine Berich­ti­gung der Parteibeze­ich­nung zuläs­sig ist, wenn jede Gefahr ein­er Ver­wech­slung aus­geschlossen wer­den kann.

Fraglich war fern­er (und vor allem) der Regress des Ver­sicher­ers auf den Werkeigen­tümer nach VVG 72 I. Dies set­zt nach ständi­ger Recht­sprechung (mit einem älteren Aus­reiss­er des BGer) eine schuld­hafte, uner­laubte Hand­lung des Regresspflichti­gen voraus; so wurde VVG 72 aus­gelegt, um einen Gle­ich­lauf mit OR 51 II zu erre­ichen. Das wird aber seit langem kri­tisiert; der Zweck der Ver­sicherung sei der Schutz des Geschädigten, nicht des (kausal-)haftpflichtigen Drit­ten. Diese Kri­tik fand auch Ein­gang in die laufende Revi­sion des VVG (Art. 63 Abs. 2 VE-VVG; inte­grales Regress­recht). Eine ähn­liche Argu­men­ta­tion lag sodann BGE 126 III 521 zugrunde (Regress­recht des Arbeit­ge­bers gegenüber einem kausal Haf­ten­den bejaht), was in der Lehre als Anze­ichen für einen Gesin­nungswan­del des BGer gedeutet wurde.

Den­noch lehnt das BGer eine Prax­isän­derung ab, weil die Bedeu­tung der Gründe für eine Änderung pro­por­tion­al zur Dauer der Anwen­dung der beste­hen­den Recht­san­wen­dung sein muss; das soll hier nicht der Fall sein:

Das Bun­des­gericht ist von dieser trotz der bere­its seit dem Jahre 1922 geübten Kri­tik, die im Laufe der Jahre auch dog­ma­tisch weit­er unter­mauert wurde, nur in einem isolierten, vor langer Zeit beurteil­ten Fall (BGE 63 II 143 E. 7; vorste­hende Erwä­gung 4.2) abgewichen. Unter diesen Umstän­den ist davon auszuge­hen, dass sich die Ver­sicherung­sprax­is auf die entsprechende Recht­slage eingestellt hat, so dass eine Änderung der Recht­sprechung im heuti­gen Zeit­punkt aus Rechtssicher­heits­grün­den beson­ders gewichtige Gründe voraussetzt […].

Mit der kon­stan­ten Recht­sprechung wird dem ein­deuti­gen Willen des his­torischen Geset­zge­bers nachgelebt, dass der Ver­sicher­er, der sich durch die Prämien für mögliche Schaden­fälle bezahlt macht, den Schaden in der Regel vor einem ohne sein Ver­schulden Haf­ten­den tra­gen soll. Auch wenn dieser klare geset­zge­berische Entscheid zu ein­er diskus­sion­swürdi­gen Kosten­verteilung für Schadensereignisse führen mag, ist es nicht ohne weit­eres Sache der Recht­sprechung, diesen zu ändern, auch wenn sei­ther einige Zeit ver­flossen ist. Dies umso weniger, wenn sich — wie im vor­liegen­den Fall — der Geset­zge­ber sel­ber im Rah­men ein­er umfassenden Geset­zes­re­vi­sion der Frage angenom­men hat. In diesem Fall recht­fer­tigt es sich nicht, der Revi­sion vorzu­greifen […]

Nach der — wohl diskutablen, aber von der kon­stan­ten Prax­is und herrschen­den Lehre beachteten — Logik und Wer­tung des his­torischen Geset­zge­bers drängt sich sodann eine Gle­ich­be­hand­lung des Arbeit­ge­bers, der dem verun­fall­ten Arbeit­nehmer den Lohn fortzahlt, mit dem Schaden­ver­sicher­er nicht auf. ”