5A_233/2011: Verzicht auf Einigungsverhandlung im Scheidungsverfahren; Beschwerde gegen Nichteintretensentscheid (amtl. Publ.)

In dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 5A_233/2011 vom 5. August 2011 beschäftigt sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob in dem Nichtein­treten auf eine Beschw­erde gegen den gerichtlichen Entscheid, auf eine Eini­gungsver­hand­lung im Eheschei­dungsver­fahren (vgl. Art. 291 ZPO) zu verzicht­en, ein nicht wieder gutzu­machen­der Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu sehen ist, so dass die betrof­fene Partei eine zivil­rechtliche Beschw­erde erheben kann. Es weist darauf hin, dass sich der nicht wieder gutzu­machende Nachteil nicht am Nichtein­tretensentscheid der Vorin­stanz als solchem bemisst, son­dern dass vielmehr die Auswirkun­gen des Zwis­ch­enentschei­ds auf die Haupt­sache entschei­dend sind (E. 1.2.2).

Zum Sachver­halt: Ehe­mann Y reichte beim Kan­ton­s­gericht Zug eine Schei­dungsklage gegen seine Ehe­frau X ein. Er ersuchte darin um Vor­ladung zu ein­er Eini­gungsver­hand­lung; X bat, ihr die Frist zur Ein­re­ichung ein­er Klageant­wort abzunehmen und die Parteien zu ein­er Eini­gungsver­hand­lung vorzu­laden. Die zuständi­ge Ref­er­entin teilte mit, die Schei­dungsklage enthalte eine Kurzbe­grün­dung, weshalb kein Raum für eine Eini­gungsver­hand­lung beste­he und an der ange­set­zten Frist fest­ge­hal­ten werde. Auf die von X dage­gen einge­wandte Beschw­erde an das Oberg­ericht Zug wurde nicht einge­treten; daraufhin erhob X eine Beschw­erde in Zivil­sachen und sub­sidiäre Ver­fas­sungs­beschw­erde. Das Bun­des­gericht heisst die zivil­rechtliche Beschw­erde teil­weise gut.

Zunächst anerken­nt das Bun­des­gericht die Zuläs­sigkeit der zivil­rechtlichen Beschw­erde, weshalb für die sub­sidiäre Ver­fas­sungs­beschw­erde kein Raum bleibe (vgl. Art. 113 BGG):

1.1 Ange­focht­en ist […] ein kan­ton­al let­ztin­stan­zlich­er Nichtein­tretensentscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG) über […] die Weigerung […], eine Eini­gungsver­hand­lung durchzuführen. Dieser erstin­stan­zliche Entscheid ist in der Ter­mi­nolo­gie der ZPO eine prozesslei­t­ende Ver­fü­gung und nicht ein Zwis­ch­enentscheid (vgl. Art. 237 und Art. 319 lit. b ZPO; Botschaft […] ZPO, BBl 2006 Ziff. 5.23.2 S. 7376 und Ziff. 5.15 S. 7344). In der Begrif­flichkeit des BGG ist die ange­focht­ene Ver­fü­gung jedoch ein Vor- oder Zwis­ch­enentscheid (Art. 93 BGG). An dieser Qual­i­fika­tion ändert sich grund­sät­zlich wie auch vor­liegend dadurch nichts, dass der ange­focht­ene Rechtsmit­te­lentscheid auf Nichtein­treten lautet. Er been­det näm­lich lediglich den Stre­it um die erstin­stan­zliche Zwis­chen­ver­fü­gung, nicht aber das Hauptver­fahren (Urteil 4A_542/2009 vom 27. April 2010 E. 3 mit Hinweisen).

Selb­ständig eröffnete Vor- und Zwis­ch­enentschei­de kön­nen vor Bun­des­gericht nur unter den Voraus­set­zun­gen von Art. 92 und Art. 93 BGG ange­focht­en wer­den. Hier kommt einzig die Vari­ante in Betra­cht, dass der Zwis­ch­enentscheid auf­grund sein­er Auswirkung auf die Haupt­sache einen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil bewirken kann (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG):

1.2.2 Im vor­liegen­den Fall ist die Vorin­stanz auf die Eingabe der Beschw­erde­führerin nicht einge­treten, da die fragliche Anord­nung der erstin­stan­zlichen Rich­terin (Verzicht auf Vor­ladung zu ein­er Eini­gungsver­hand­lung gemäss Art. 291 ZPO) man­gels rechtlichen Nachteils nicht Gegen­stand ein­er Beschw­erde gemäss Art. 319 lit. b. Ziff. 2 ZPO bilden könne. Unmit­tel­bar­er Ver­fahrens­ge­gen­stand vor Bun­des­gericht bildet die Frage, ob dieses Nichtein­treten recht­ens war. […] Trotz dieser Beschränkung des Ver­fahren­s­the­mas bemisst sich die Frage, ob ein nicht wieder gutzu­machen­der Nachteil vor­liegt, nicht am Nichtein­tretensentscheid der Vorin­stanz als solchem, d.h. daran, ob dieses Prozes­surteil mit Beschw­erde gegen den Endentscheid noch über­prüft wer­den kön­nte (so noch Urteil 5A_612/2007 vom 22. Jan­u­ar 2008 E. 1.1). Mass­gebend sind vielmehr die Auswirkun­gen des Zwis­ch­enentschei­ds auf die Haupt­sache. Das erstin­stan­zliche Urteil und seine Bedeu­tung für das weit­ere Ver­fahren sind dem­nach entschei­dend (Urteil 5D_72/2009 vom 9. Juli 2009 E. 1.1 […]). Vor­liegend geht es also darum, ob die Nicht­durch­führung ein­er Eini­gungsver­hand­lung gemäss Art. 291 ZPO einen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil im Schei­dungsver­fahren bewirken kann.

Ob die Eini­gungsver­hand­lung gemäss Art. 291 ZPO tat­säch­lich zwin­gend ist, hat das Bun­des­gericht zwar offen gelassen, lässt aber sein Ver­ständ­nis in die Erwä­gun­gen einfliessen:

1.2.4 […] Diese Frage beschlägt die Begrün­de­theit der Beschw­erde an das Oberg­ericht […]. Immer­hin sieht die ZPO diesen Ver­fahrenss­chritt aus­drück­lich vor. Die Auf­fas­sung der Beschw­erde­führerin über die zwin­gende Natur der Eini­gungsver­hand­lung erscheint denn auch nicht von vorn­here­in abwegig. Fällt die Eini­gungsver­hand­lung aus, kann sie nicht nachge­holt wer­den. Die Angele­gen­heit­en, welche Gegen­stand der Eini­gungsver­hand­lung bilden wür­den, müssten dann allen­falls in anderem Zusam­men­hang behan­delt wer­den. Selb­st falls die Möglichkeit beste­hen sollte, die über­gan­genen Ver­fahrensin­halte in ein­er anderen Prozessphase nachzu­holen, ändert dies aber nichts daran, dass in wom­öglich rechtswidriger Weise ein Prozess­ab­schnitt über­sprun­gen wurde. Dieser ver­fahrens­mäs­sige Nachteil lässt sich im weit­eren Prozess und im Endurteil nicht beseit­i­gen. Der ange­focht­ene Zwis­ch­enentscheid kann somit einen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil bewirken.

Weit­er beurteilt das Bun­des­gericht, ob die Vorin­stanz auf die Beschw­erde hätte ein­treten müssen und bejaht dies mit einem argu­men­tum a majore ad minus:

2.2 Nach­dem der gel­tend gemachte Nachteil aus­re­icht, damit das Bun­des­gericht auf die Beschw­erde in Zivil­sachen ein­tritt, fol­gt daraus ohne weit­eres, dass auch die Vorin­stanz auf die Beschw­erde gemäss Art. 319 ff. ZPO hätte ein­treten müssen. Kann der Zwis­ch­enentscheid einen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken, so kann er erst recht einen nicht leicht wieder gutzu­machen­den Nachteil im Sinne von Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO nach sich ziehen.

Im Ergeb­nis wird die ange­focht­ene Ver­fü­gung teil­weise gut­ge­heis­sen. Die Vorin­stanz hat auf die Beschw­erde einzutreten und wird zu prüfen haben, ob die Eini­gungsver­hand­lung durchzuführen ist.