5A_275/2011: Kriterien der Rechtsmissbräuchlichkeit einer Gegendarstellung nach Berichtigung durch das Medium (amtl. Publ.)

Das BGer schützt ein Gegen­darstel­lungs­begehren der Kranken­ver­sicher­er ÖKK und Sym­pa­ny, das sich gegen den K‑Tipp bzw. dessen franzö­sis­chsprachiges Pen­dant Bon à savoir richtete. Die Zeitschriften hat­ten in ein­er Umfrage zur Kun­den­zufrieden­heit bei Kranken­ver­sicher­ern die ÖKK und die Sym­pa­ny als Ein­heit behan­delt, obwohl bei­de eigen­ständi­ge Ver­sicher­er sind.

Der K‑Tipp und Bon à savoir hat­ten jew­eils auf ihrer Web­site frei­willig einen Kor­rek­turhin­weis ange­bracht, der den Kranken­ver­sicher­ern jedoch nicht genügte. Strit­tig war, ob diese Hin­weise das Rechtss­chutz­in­ter­esse ent­fall­en liessen. Das BGer fasst zunächst die Lehre und kan­tonale Recht­sprechung zur Auswirkung der Veröf­fentlichung ein­er Berich­ti­gung auf den Gegen­darstel­lungsanspruch zusam­men (wobei sich die Mei­n­un­gen offen­bar im Ver­ständ­nis des Zwecks der Gegen­darstel­lung unterscheiden):

Nach ein­er Ansicht bezweckt das Recht auf Gegen­darstel­lung, dass die betrof­fene Per­son auch ihren Stand­punkt zur Gel­tung brin­gen kann und dass dieser Anspruch nicht durch eine eigene Berich­ti­gung des Medi­enun­ternehmens “unter­laufen” wer­den kann. Nach der Gegen­mei­n­ung bezweckt das Recht auf Gegen­darstel­lung auss­chliesslich, dass die veröf­fentlichte Tat­sachen­darstel­lung im Sinn der betrof­fe­nen Per­son berichtigt wird. Hat das Medi­enun­ternehmen eine Berich­ti­gung veröf­fentlicht, ent­fällt der Gegen­darstel­lungsanspruch danach man­gels schutzwürdi­gen Interesses. 

Das BGer löst das Prob­lem so, dass es zwar an sich einen Gegen­darstel­lungsanspruch auch bei ein­er Berich­ti­gung durch das Medi­enun­ternehmen bejaht, aber im Einzelfall als rechtsmiss­bräuch­lich nicht schützt: 

Von diesem Zweck her kann das Begehren auf gerichtliche Anord­nung ein­er Gegen­darstel­lung als offen­bar rechtsmiss­bräuch­lich erscheinen, wenn der Betrof­fene bere­its die Gele­gen­heit erhal­ten hat, seine Ent­geg­nung — z.B. in der Form eines Inter­views — veröf­fentlichen zu lassen, und diese Veröf­fentlichung den geset­zlichen Anforderun­gen an eine Gegen­darstel­lung genügt hat. Voraus­ge­set­zt ist somit, dass die veröf­fentlichte Ent­geg­nung innert nüt­zlich­er Frist erfol­gt ist, mit grösster Wahrschein­lichkeit wiederum auch den Leser des bean­stande­ten Artikels ange­sprochen hat und in direk­ter Verbindung mit dem bean­stande­ten Artikel ges­tanden oder diese Verbindung durch geeignete Mit­tel hergestellt hat. Schliesslich darf ihr nicht erneut ein Kom­men­tar des Medi­enun­ternehmens gefol­gt sein, der sie entwertet haben könnte […].

Ob und unter welchen Voraus­set­zun­gen eine Berich­ti­gung des Medi­enun­ternehmens ein Behar­ren des Betrof­fe­nen auf seinem Gegen­darstel­lungsrecht als offen­bar rechtsmiss­bräuch­lich erscheinen lassen kann, ist anhand sämtlich­er Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Allerd­ings ist offen­bar­er Rechtsmiss­brauch nur mit Zurück­hal­tung anzunehmen und im Zweifel das formelle Recht zu schützen […]. Berück­sichtigt wer­den muss dabei, dass die Berich­ti­gung des Medi­enun­ternehmens im Unter­schied zu den vor­ge­nan­nten “Inter­view-Fällen” nicht den Stand­punkt des Betrof­fe­nen wiedergibt und insofern nicht als “Gegen­darstel­lung”, d.h. als eigene Ver­sion des Betrof­fe­nen erkennbar ist. Die Frage stellt sich zudem unter­schiedlich, je nach dem, ob das Medi­enun­ternehmen von sich aus und aus eigen­em Antrieb eine Berich­ti­gung veröf­fentlicht, bevor der Betrof­fene förm­lich eine Gegen­darstel­lung ver­langt hat, oder ob das Medi­enun­ternehmen erst nach dem Ein­tr­e­f­fen der Gegen­darstel­lung eine Berich­ti­gung veröf­fentlicht und damit auf das Gegen­darstel­lungs­begehren des Betrof­fe­nen gle­ich­sam erst reagiert. Denn vor­ab in let­zterem Fall beste­ht die Gefahr, das Gegen­darstel­lungsrecht kön­nte entwertet und unter­laufen wer­den. Gle­ich­wohl dür­fen auch in diesem Bere­ich die Fälle offen­baren Rechtsmiss­brauchs nicht völ­lig aus­geschlossen wer­den. Wer vor Gericht begehrt, was er bere­its erhal­ten hat, ver­di­ent keinen Rechtss­chutz. Im Einzelfall ist jedoch streng darauf zu acht­en, dass die Berich­ti­gung des Medi­enun­ternehmens die Sach­darstel­lung des Betrof­fe­nen zum einen inhaltlich richtig und voll­ständig wiedergibt und zum anderen den übri­gen für die Gegen­darstel­lung gel­tenden Veröf­fentlichungsvorschriften gemäss Art. 28k Abs. 1 ZGB entspricht. Der Ein­wand der Beschw­erde­führerin­nen, dem Betrof­fe­nen sei stets bess­er gedi­ent, wenn das Medi­enun­ternehmen aus­drück­lich berichtige und nicht bloss die Gegen­mei­n­ung des Betrof­fe­nen veröf­fentliche, ist in dieser all­ge­meinen Form unzutr­e­f­fend. Das kann je nach Art der bean­stande­ten Tat­sachen­darstel­lung zutr­e­f­fen, muss aber nicht. Entschei­dend bleibt der Einzelfall.