1B_603/2011: Verweigerung der Akteneinsicht; Verletzung des rechtlichen Gehörs (amtl. Publ.)

In einem Beschw­erde­v­er­fahren vor dem Kan­ton­s­gericht Schwyz ver­langte die Staat­san­waltschaft, eine Ver­fü­gung des Zwangs­mass­nah­men­gerichts aufzuheben und anstelle der ange­ord­neten Ersatz­mass­nah­men die von der Staat­san­waltschaft zuvor beantragten Ersatz­mass­nah­men anzuord­nen. Das Kan­ton­s­gericht lehnte diesen Antrag ab und führte aus, die Staat­san­waltschaft dürfe wed­er das Opfer noch seine Rechts­beiständin über das Ver­fahren vor dem Zwangs­mass­nah­men­gericht informieren. Im Inter­esse der Unter­suchung und der Betrof­fe­nen sowie angesichts des bish­er teil­weise unbot­mäs­si­gen Aktenum­gangs gelte daher bis zum Abschluss der Unter­suchung (Art. 318 StPO), dass die gerichtlichen Akten nicht ohne Zus­tim­mung des zuständi­gen Gerichts an Parteien oder Dritte her­aus­gegeben wer­den dürfen.

Das Bun­des­gericht hat den vorin­stan­zlichen Entscheid in dem – für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen – Urteil 1B_603/2011 vom 3. Feb­ru­ar 2012 teil­weise aufge­hoben, soweit das Opfer in sein­er Beschw­erde beantragt hat­te, die Weisung des Kan­ton­s­gerichts aufzuheben, mit welch­er der Ver­fahrensleitung ver­boten wor­den war, Parteien und Drit­ten eine Aktenein­sicht ohne Zus­tim­mung des zuständi­gen Gerichts zu gewähren.

Zu klären war zunächst die Beschw­erde­berech­ti­gung der Pri­vatk­läger­schaft (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Das Bun­des­gericht hat die Legit­i­ma­tion der Beschw­erde­führerin bejaht, weil sie keine Möglichkeit hat­te, am vorin­stan­zlichen Ver­fahren teilzunehmen. Sie hat­te sich auf das Aktenein­sicht­srecht und damit auf ein Ver­fahren­srecht berufen, das sie als Pri­vatk­lägerin beansprucht (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO und Art. 118 ff. i.V.m. Art. 101 f. StPO).

1.3 […] In diesem Punkt wird die Beschw­erde­führerin vom ange­focht­e­nen Entscheid in den ihr zuste­hen­den Ver­fahren­srecht­en betrof­fen. Sie kann den Beschluss des Kan­ton­s­gerichts […] deshalb in diesem Punkt beim Bun­des­gericht mit Beschw­erde in Straf­sachen anfecht­en. Da es dabei um die Wahrung von Ver­fahren­srecht­en geht, kann insoweit ungeprüft bleiben, ob sich der ange­focht­ene Entscheid auf die Beurteilung der Zivi­lansprüche der Beschw­erde­führerin auswirken kann. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforder­liche rechtlich geschützte Inter­esse ergibt sich in diesem Fall nicht aus ein­er Berech­ti­gung in der Sache, son­dern aus der Berech­ti­gung, am Ver­fahren teilzunehmen (sog. “Star-Prax­is”; BGE 136 IV 29 E. 1.9 […]).

Anschliessend geht das Bun­des­gericht auf den Anspruch auf rechtlich­es Gehör der Parteien (Art. 3 Abs. 2 lit. c, 101 Abs. 1 und 107 Abs. 1 lit. a StPO) ein.

3. […] Spätestens nach der ersten Ein­ver­nahme der beschuldigten Per­son und der Erhe­bung der übri­gen wichtig­sten Beweise haben die Parteien unter Vor­be­halt von Art. 108 StPO Anspruch auf Aktenein­sicht (Art. 101 Abs. 1 StPO). Gründe für Ein­schränkun­gen des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 108 StPO sind nicht ersichtlich. Das Haft­prü­fungsver­fahren gemäss Art. 220 ff. StPO ist ein Teil­ver­fahren inner­halb des Strafver­fahrens. Die Akten dieses Zwangs­mass­nah­men­ver­fahrens gehören somit zu den Strafak­ten. Die Parteien haben deshalb im Rah­men des beschriebe­nen Aktenein­sicht­srechts auch das Recht, die Akten dieses Teil­ver­fahrens einzuse­hen. Die […] Ver­weigerung der Zustel­lung des kan­ton­s­gerichtlichen Beschlusses […] an die Beschw­erde­führerin ist mit dem Anspruch auf Aktenein­sicht im Strafver­fahren nicht vere­in­bar. Gemäss Art. 214 Abs. 4 StPO wird das Opfer grund­sät­zlich unter anderem über die Anord­nung und die Aufhe­bung der Unter­suchungs- oder Sicher­heit­shaft ori­en­tiert. Anord­nung und Anfech­tung von Ersatz­mass­nah­men richt­en sich sin­ngemäss nach den Vorschriften über die Unter­suchungs- und Sicher­heit­shaft (Art. 237 Abs. 4 StPO). Das Kan­ton­s­gericht hätte den ange­focht­e­nen Beschluss […] dem Opfer, d.h. der Beschw­erde­führerin auch im Lichte dieser Vorschriften von Amtes wegen mit­teilen müssen.

Mit der teil­weisen Gutheis­sung hebt das Bun­des­gericht den ange­focht­e­nen Beschluss des Kan­ton­s­gerichts auf. Zudem wird es der Beschw­erde­führerin in Anwen­dung von Art. 107 Abs. 2 BGG, wonach das Bun­des­gericht im Falle der Gutheis­sung ein­er Beschw­erde refor­ma­torisch entschei­den kann, den betr­e­f­fend­en Beschluss des Kan­ton­s­gerichts zusam­men mit dem vor­liegen­den Urteil zustellen.