4A_505/2011: keine Substantiierungspflicht des Begünstigten bei Inanspruchnahme einer (hier: Bau-)Garantie auf erstes Anfordern (amtl. Publ.)

Die vor­liegende Auseinan­der­set­zung betraf ein Bau­garantie-Ver­sicherungsver­hält­nis, in dem der Ver­sicher­er dem Bau­un­ternehmer vom Bestand des Bauw­erkver­trags und von allfäl­li­gen Einre­den und Ein­wen­dun­gen aus dem Ver­trag unab­hängig die Auszahlung der Ver­sicherungssumme an den Besteller ver­sprochen hat­te. Der Ver­sicher­er zahlte die Garantiesumme aus, obwohl der begün­stigte Besteller das Garantieereig­nis nicht sub­stan­ti­iert hat­te. Im Regressprozess gegen den Unternehmer unter­lag der Ver­sicher­er deshalb vor den Vorin­stanzen, dem BezGer Arlesheim und dem KGer BL. Seine Klage wurde mit der Begrün­dung abgewiesen, der Begün­stigte sei bei Inanspruch­nahme der Garantie als Aus­fluss des Rechtsmiss­brauchsver­bots auch dann zur Sub­stanzi­ierung des Garantieereigniss­es verpflichtet, wenn dies im Garantiev­er­sprechen nicht vorge­se­hen sei.

Das BGer heisst die Beschw­erde dage­gen gut. Eine Pflicht oder Obliegen­heit zur näheren Umschrei­bung des Ereigniss­es, das den Garantiefall aus­löst, beste­he bei ein­er Garantie mit Sofortzahlungsklausel (“auf erstes Anfordern”) nicht, wenn der Garanti­etext keine solche Erk­lärung ver­langt. Diese in der Lehre vertretene Ansicht geht auf die Über­legung zurück, ohne eine gewisse Sub­stanzi­ierung könne die Garan­tin keine Schlüs­sigkeit­sprü­fung vornehmen und habe auch keine Grund­lage für die Erken­nt­nis eines allfäl­li­gen Rechtsmiss­brauchs. Sie wider­spricht aber, so das BGer, der streng for­mal­isierten Betra­ch­tungsweise, die in Bezug auf den Ein­tritt des Garantiefalls gelte:

3.4 In Bezug auf den Ein­tritt des Garantiefalls gilt nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung eine streng for­mal­isierte Betra­ch­tungsweise, die allein auf den Wort­laut der Garantieklausel abstellt. Der Begün­stigte muss dem Garan­ten gegenüber nur die (aber auch alle) Voraus­set­zun­gen erfüllen, die in der jew­eili­gen Garantieklausel als Bedin­gung für das Entste­hen der Zahlungspflicht des Garan­ten ihm gegenüber fest­gelegt sind […]. So kann der Garant etwa keine Vor­leis­tun­gen ver­lan­gen, die sich nicht ein­deutig aus dem Garanti­etext ergeben (Urteil 4C.144/2003 vom 10. Sep­tem­ber 2003 E. 2.2).

3.5 Diese Grund­sätze sind nicht vere­in­bar mit ein­er Verpflich­tung des Begün­stigten, den Ein­tritt des Garantiefalls über den Wort­laut der Garantieklausel hin­aus­ge­hend näher zu sub­stanzi­ieren. Es liegt vielmehr in der Ver­ant­wor­tung der Garan­tin, sämtliche Voraus­set­zun­gen für die Auszahlung der Garantiesumme im Garantiev­er­sprechen aufzuführen. Der Begün­stigte ist insofern in seinem Ver­trauen auf den Inhalt des Garantiev­er­sprechens zu schützen (vgl. Urteil 4C.144/2003 vom 10. Sep­tem­ber 2003 E. 2.2). […]