4A_532/2011: vorsorgliche Beweisabnahme zur Klärung der Prozessaussichten auch im Immaterialgüterrecht (amtl. Publ.)

Das HGer AG hat­te das Gesuch um vor­sor­gliche Bewe­is­führung iSv ZPO 158 (durch einen Augen­schein) ein­er Patentin­hab­erin abgewiesen. Das BGer tritt auf die Beschw­erde gegen diesen Entscheid, der von einem Hauptver­fahren unab­hängig und damit eigen­ständig und damit ein Endentscheid iSv BGG 90 ist, ein.

Strit­tig war, ob ein schutzwürdi­ges Inter­esse iSv ZPO 158 I b vor­lag (bzw. glaub­haft war). Das Ziel der Mass­nahme war die Klärung der Beweis- und Prozes­saus­sicht­en. Darin kann, wie auch das HGer AG fest­ge­hal­ten hat, ein schutzwürdi­ges Inter­esse liegen. Die Gesuch­stel­lerin habe dabei den Haupt­sacheanspruch in den Grundzü­gen darzule­gen und Tat­sachen glaub­haft zu machen, die für die Iden­ti­fika­tion dieses Anspruchs notwendig sind.

Zu beacht­en seien jedoch auch die spezialge­set­zlichen Vorschriften, hier von PatG 77 (vor­sor­gliche Mass­nah­men). PatG 77 set­ze — anders als ZPO 158 hin­aus — eine pos­i­tive Haupt­sache­p­rog­nose. Ins­beson­dere genüge die blosse Behaup­tung, ein Schutzrecht sei ver­let­zt wor­den, nicht. Die Gesuch­stel­lerin habe vielmehr darzule­gen, dass eine hin­re­ichende Wahrschein­lichkeit für die Ver­let­zung ihres Paten­trechts beste­ht. Zwar ste­he die vor­sor­gliche Bewe­is­führung iSv ZPO 158 als Alter­na­tive PatG 77 zur Ver­fü­gung. Sie dürfe aber nicht dazu dienen, die stren­geren spezialge­set­zlichen Voraus­set­zun­gen zu umgehen.

Das BGer lehnt diese zivil­prozes­suale Umwegth­ese ab: Der Anspruch auf Mass­nah­men zur Beweis­sicherung iSv PatG 77 I lit. a ist ein spezialge­set­zlich­er Anspruch iSv ZPO 158 I a. Er beste­ht nach den Voraus­set­zun­gen von PatG 77.

Davon unab­hängig ist die von der Beschw­erde­führerin im vor­liegen­den Fall beantragte Durch­führung eines Augen­scheins i.S. von Art. 181 f. ZPO als vor­sor­gliche Beweis­mass­nahme gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO. Dass den Parteien auch bei paten­trechtlichen Stre­it­igkeit­en die Möglichkeit offen ste­ht, die vor­sor­gliche Abnahme ander­er Beweis­mit­tel als der genauen Beschrei­bung nach Art. 77 PatG, also z.B. die Ein­ver­nahme von Zeu­gen, die Edi­tion von Kon­struk­tion­sze­ich­nun­gen oder Wartung­shand­büch­ern etc., gestützt auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO zu erwirken, wird in der Lit­er­atur als selb­stver­ständlich erachtet […]. Es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, weshalb das all­ge­meine zivil­prozes­suale Instru­men­tar­i­um nicht auch im Bere­ich des Paten­trechts zur Anwen­dung gelan­gen soll. Ein Augen­schein gemäss Art. 181 f. ZPO kann auch in paten­trechtlichen Stre­it­igkeit­en gestützt auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO als vor­sor­gliche Beweis­mass­nahme ange­ord­net wer­den, sofern die gesuch­stel­lende Partei ein schutzwürdi­ges Inter­esse glaub­haft macht.