Vor BGer war strittig, ob die Eltern eines tödlich verunfallten Sohnes einen Ersatzanspruch auf das SVG stützen können, wenn sie durch die Todesnachricht einen Schock erlitten haben. Der beklagte Haftpflichtversicherer hatte den Standpunkt eingenommen, das SVG beschränke den Kreis der Schadenersatzberechtigten auf direkt unfallbeteiligte Personen, denn nur diese kämen überhaupt in die Reichweite der Betriebsgefahr. Die Vorinstanz des BGer, das KGer ZG, stellte im Sinne eines Vorentscheids fest, dass der Versicherer gemäss SVG 58 I für einen Schockschaden hafte. Das OGer ZG bestätigte diesen Entscheid.
Das BGer weist die dagegen gerichtete Beschwerde ab. Strittig war nur, ob der Versicherer im Grundsatz haftpflichtig war oder ob ein blosser Reflexschaden behauptet war. Der Schaden als solcher und die Kausalitätsfrage waren kein Thema. Wie das BGer festhält, betrifft die Frage, ob ein “reiner Reflexschaden” vorliegt, das Thema der Widerrechtlichkeit. In folgenden Fällen besteht eine Haftung auch bei Schädigung aus Drittbetroffenheit (Reflexschäden):
- gesetzlicher Anspruch auf Versorgerschaden (OR 45 III)
- gesetzlicher Anspruch auf Genugtuung bei Tod oder Körperverletzung eines Angehörigen (OR 47)
- Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts ( vgl. den sog. Hunter-Fall, BGE 112 II 118 ff.)
- Verletzung einer Schutznorm (d.h. einer Verhaltensnorm, die den Dritten vor Beeinträchtigungen der eingetretenen Art schützen soll)
Der vorliegende Fall entspricht dem Hunter-Urteil und war auch gleich zu beurteilen. Dass das BGer in BGE 106 II 75 eine Haftung aus SVG für die Folgen eines Stromausfalls infolge der Beschädigung einer Stromleitung durch einen Traktor verneint hatte, ändert daran nichts, denn dort fehlte die Widerrechtlichkeit, während hier ein absolut geschütztes Rechtsgut verletzt wurde.
SVG 58 I schränkt die Haftung ferner nicht auf Direktbetroffene ein; auch diesbezüglich besteht kein Unterschied zum Hunter-Fall, bei dem die Haftung auf LFG 64 beruhte. Das bedeutet nicht, dass bei Reflexschäden nicht die Gefahr einer Haftungsausuferung bestehe. Dieser Gefahr ergibt sich aber einerseits allenfalls aus einer zu grosszügigen Anwendung bestimmter Verhaltensnormen als Schutznormen, im vorliegenden Fall irrelevant; oder dann bei einer Überdehnung der Adäquanz des Kausalverlaufs, was im vorliegenden Fall durch die Vorinstanzen noch zu beurteilen ist. Das BGer deutet dabei an, welche Kriterien zu berücksichtigen sind:
- Nähe der Beziehung zwischen dem direkten Unfallopfer und dem Schockgeschädigten
- Schwere der Betroffenheit des direkten Unfallopfers (Tötung/Verletzug/Gefährdung)
- Nähe des schockauslösenden Miterlebens (unmittelbares Miterleben/blosse Benachrichtigung)